„Erlösung durch Sünde“ oder der „Pfad zur linken Hand“

In seinem kürzlich erschienenen Buch „Die Wege des Bösen. Verschwörungen, Komplotte, Konspirationen“ (Sugarco, Mailand 2022) widmet Prof. Roberto de Mattei einen Abschnitt Moses Dobruschka (1753–1794), einem Juden, Scheinkatholiken, Freimaurer und jakobinischen Revolutionär, der mit der messianischen Bewegung des Kabbalisten Schabbatai Zwi (1626–1676) und seines Anhängers Jacob Frank (1726–1791) verbunden war. Es ist interessant, sich mit der sabbatianischen und der frankistischen Bewegung zu befassen, da beide auf dem gnostischen Konzept der „Erlösung durch die Sünde“ beruhen, einem Konzept, das meines Erachtens Ähnlichkeiten mit dem Initiations-Tod zum dritten Grad des Freimaurermeisters in der modernen oder spekulativen Freimaurerei aufweist. Darüber hinaus weist die doppelte Mitgliedschaft oder der doppelte Glaube (einschließlich der Simulation einer Konversion) der Sabbatianer und Frankisten auf eine gewisse Ähnlichkeit mit der religiösen Haltung der Freimaurer hin, die durch die (für die Freimaurer notwendige) Dialektik der exoterischen + esoterischen Gegensätze gekennzeichnet ist (z. B.: praktizierender Katholik + Freimaurer; Kirche + Loge…).

Eine weitere interessante Analogie ist die zwischen dem sabbatianischen/frankistischen „Weg“ und dem „Pfad zur linken Hand“ (typisch für den hinduistischen/buddhistischen Tantrismus), der von verschiedenen Esoterikern und satanistischen und/oder schwarzmagischen Gruppen vertreten wird.

1. Aus den Studien von Gerschom Scholem

Der Sabbatianismus (oder Sabbataismus), der Frankismus und das Leben von Moses Dobruschka waren Gegenstand eingehender Studien von Prof. Gerschom (Gerhard) Scholem (1897–1982), einem renommierten jüdischen Gelehrten, den Prof. de Mattei als „den Meister der Kabbala der Hebräischen Universität Jerusalem“ bezeichnet (vgl. Die Wege des Bösen, S. 65).

Schauen wir uns einige der Texte von Prof. Scholem an.

1.1 Grundlegende Konzepte

In seinem Buch „Von der mystischen Gestalt der Gottheit. Studien zu Grundbegriffen der Kabbala“ (Rhein-Verlag, Zürich 1962) macht Scholem deutlich, daß schon laut der „orthodoxen“ Kabbala das Böse (Satan) in Gott ist. Gott hat das Böse geschaffen (vgl. S. 47f, 54, 62)1. Mit der Wiedereingliederung in die ursprüngliche Einheit wird dann das Böse erlöst (vgl. S. 60). Funken des göttlichen Lichts befinden sich auch in der Dunkelheit, im Bösen, und es ist möglich, sie wiederzufinden (vgl. S. 65). Nach der Kabbala von Isaak Luria (1534–1572) ist das Böse der Schöpfung inhärent, es ist in Gott (vgl. S. 70–72).

Scholem erwähnt die „häretische Kabbala“ des Nathan von Gaza (1643–1680), Prophet und Theologe des abtrünnigen Messias Schabbatai Zwi. 1671 schrieb Nathan das „Buch der Schöpfung“ (Sefer-ha-beriah), in dem er argumentiert: Zwei Lichter brennen in Gott, das Licht, in dem es Gedanken gibt, und das Licht, in dem es keinen Gedanken gibt; das zweite Licht steht im Gegensatz zum ersten; in Gott gibt es das Böse; die Seele des Messias kommt aus dem Licht ohne Gedanken, aus dem Abgrund des Bösen; das Böse ist im Messias; die Seele des Messias manifestiert „einzigartige Explosionen des Antinomismus“ (vgl. S. 72–75).

Nach den Sabbatianern muß der Gerechte ins Böse hinabsteigen, der Messias muß in die Apostasie fallen (vgl. S. 111); durch den Fall ins Böse erlöst es der Gerechte von innen (vgl. S. 121).

1.2 „Erlösung durch die Sünde“

In seinem Buch „The Messianic Idea in Judaism and Other Essays on Jewish Spirituality“. (Schocken Books, New York 1971) erklärt Scholem im Kapitel „Redemption through Sin“ (Erlösung durch Sünde) (S. 87–141)2: Obwohl der Sabbatianismus eine Bedrohung für das rabbinische Judentum darstellte, waren bedeutende Rabbiner in Jerusalem, Konstantinopel, Smyrna, Prag, Hamburg und Berlin Sabbatianer. Die Zahl der sabbatianischen Rabbiner überstieg sogar die Schätzungen von Rabbi Jakob Emden, dem eifrigsten Gegner der Sabbatianer, der oft der Übertreibung bezichtigt wurde (vgl. S. 88–91).

Scholem stellt fest, daß die Sabbatianer ihre Lehre bis zum Äußersten trieben, bis hin zum Abgrund der sogenannten 49 Tore der Unreinheit, „sha’are tum’ah“ (vgl. S. 98).

Nach Nathan von Gaza und Schabbatai Zwi [oder Sabbatai Zevi] mußte der Erlöser in das Reich der Qelippot (des Bösen) hinabsteigen, um die göttlichen Lichtfunken freizusetzen, die dort hingefallen waren; nur so könne das Reich des Bösen zerstört und die Erlösung vollendet werden. Nach Nathan von Gaza und Zwi hätte der Messias seltsame Taten zu vollbringen, einschließlich des Glaubensabfalls (vgl. S. 101, 104f). Schabbatai wurde 1666 abtrünnig und trat zum Islam über.

Scholem erklärt, daß die Sabbatianer davon überzeugt waren, den wahren Glauben zu besitzen. Sie wollten ihn nicht öffentlich bekennen, sondern hielten ihn im Verborgenen, während sie ihn nach außen hin sogar verleugneten. Sie waren davon überzeugt, daß sie ihren Glauben verbergen mußten, so wie die Erde den Samen verbirgt. Ihrer Meinung nach mußte jeder Jude ein „Marrane“ werden. Die Sabbatianer rechtfertigen die Umkehrung der Werte: Das Heilige muß profan werden und umgekehrt (vgl. S. 113f).

Was die gewöhnlichen Juden beleidigte, war, daß die Sabbatianer, besonders die radikalen, für die Heiligkeit der Sünde eintraten, für die Pflicht, die gewöhnliche Moral im Namen eines höheren Gesetzes zu verletzen… Scholem stellt fest, daß diese Tendenz bereits bei den Kabbalisten vorhanden war, aber bis zur Zeit der Sabbatianer nur auf der Ebene der Theorie geblieben war (vgl. S. 114).

Die sabbatianische These von der Heiligkeit der Sünde und der Erlösung durch die Sünde führte zu sexuellen Riten, dem sogenannten „Ritus des Auslöschens der Lichter“ (vgl. S. 116f).

Wie Scholem erklärt, gab es unter den Sabbatianern:

  1. jene, die wie Schabbatai Zwi zum Islam übertraten;
  2. jene, die äußerlich im Judentum blieben;
  3. jene, die zur katholischen Kirche übertraten, wie Jacob Frank und seine Anhänger (vgl. S. 118).

Alle diese Gruppen bildeten jedoch „eine Einheit“, da „sie davon überzeugt waren, daß das äußere Erscheinungsbild nicht den wahren Glauben ausdrückte“, und so setzten sie alle die sabbatianischen Lehren und Rituale im geheimen fort (vgl. S. 118f). Für sie war Schabbatai Zwi die Inkarnation des Heiligen von Israel. Jacob Frank, der für die Inkarnation von Zwi gehalten wurde, predigte die erlösende Kraft der Zerstörung und schlug seinen Anhängern vor, in den Abgrund vorzudringen, in dem alle Gesetze, Doktrinen und Religionen aufgehoben seien (vgl. S. 126–132).

1.3 Ein echter Frankist: Moses Dobruschka

Zu Beginn seines Buches „Sabbatai Zwi. Der mystische Messias“, Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 1992, schreibt Scholem über den Frankismus, der vor allem in Polen und Österreich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aktiv war.

„Schon zu Beginn meiner Forschungen über die Geschichte der frankistischen Bewegung fiel mir die besondere Kombination der beiden Elemente auf, die ihr Wesen kurz vor und unmittelbar nach der Französischen Revolution bestimmen: die Neigung zu esoterischen und kabbalistischen Lehren einerseits und die Anziehungskraft des Geistes der Aufklärungsphilosophie andererseits. Die Mischung dieser beiden Tendenzen verleiht der frankistischen Bewegung eine seltsame und überraschende Zweideutigkeit“ (S. 13)3.

Moses Levi Dobruschka wurde am 12. Juli 1753 in Brünn in Mähren als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren, die das Monopol für den Verkauf von Tabak, einer der wichtigsten Einnahmequellen im österreichischen Kaiserreich, besaß. Moses‘ Mutter ist eine Cousine von Jacob Frank, der eigentlich Jacob Leibovicz heißt und sich nach der Taufe und seiner Nobilitierung durch König August III. von Polen-Litauen, weil er zur katholischen Kirche konvertierte, Jakob Joseph Frank-Dobrucki nennt. Die Familie Dobruschka ist mit den mährischen Sabbatianern verbunden, sodaß auch Moses eine doppelte Ausbildung erhielt: eine jüdisch-rabbinische und eine sabbatianische. Auf der einen Seite die scheinbare Loyalität zum Judentum, auf der anderen Seite insgeheim die Gnosis von Schabbatai Zwi (vgl. S. 16–19).

1775 „konvertierte“ auch Moses Dobruschka zum katholischen Glauben und nannte sich Franz Thomas Schönfeld, blieb aber der Sekte von Jacob Frank verbunden (vgl. S. 25–27).

Die öffentliche Tätigkeit von Dobruschka/Schönfeld ist die eines Dichters und Schriftstellers. In Wien ist er Mitglied des bayerischen Illuminatenordens (vgl. S. 28). Noch vor 1780 tritt er der regulären Wiener Freimaurerei bei, ebenso wie einige seiner Verwandten und verschiedene Frankisten aus hochrangigen jüdischen Familien Österreichs. Er schließt sich auch den „Brüdern des heiligen Johannes des Evangelisten von Asien in Europa“ an, die einfach „Asiatische Brüder“ genannt wurden, einem Freimaurern vorbehaltenen Initiationsorden, der christliche und rein jüdische Elemente der Kabbala verband. (vgl. S. 38f).

Moses Dobruschka hat den Ruf eines Wüstlings, der sich fleischlichen Genüssen hingibt (vgl. S. 48). Dann nimmt er eine neue Identität an und nennt sich Junius Frey, und wird in Frankreich zum jakobinischen Revolutionär, bleibt aber mit den „Asiatischen Brüdern“ und der Kabbala verbunden (vgl. S. 53, 62f). So ist Dobruschka/Schönfeld/Frey gleichzeitig Jude, Kabbalist, Illuminat, Freimaurer, Asiatischer Bruder, Christ und Jakobiner. Scholem schreibt dazu:

„Wir sehen vor uns die Persönlichkeit eines Mannes, der mehrere Masken gleichzeitig trägt, um sie dann je nach den Umständen alle zu verleugnen. Es ist unmöglich, seine wirkliche Position zu bestimmen: Das ist die des wahren Frankisten, gemäß der von Jacob Frank vorgeprägten Auffassung“ (S. 74).

Der neue Nachname „Frey“, den Dobruschka angenommen hat, meint, so Scholem, „frei“, sodaß er eine Hommage sowohl an die revolutionäre „Freiheit“ als auch an seinen „Onkel“ Jakob sein könnte, dessen Nachname Frank „frank“, „frei“ bedeutet (vgl. S. 85).

Später wiederholt Scholem, daß Jacob Leibowicz Frank und seine Anhänger vorgaben, zum Katholizismus zu konvertieren, während sie ihre Lehren und ihren transgressiven Kult weiter pflegten. Frank galt als die Verkörperung des verborgenen Gottes und hielt sich selbst für eine solche (vgl. S. 142–144). Franks Vorstellung von „Leben“ ist nicht die harmonische Ordnung der Natur, sondern die Befreiung von allen Zwängen, also die anarchische Freiheit. Frank nimmt den Vater des Anarchismus, Bakunin, um etwa ein Jahrhundert vorweg, demzufolge die Kraft der Zerstörung eine kreative Kraft ist. Jacob Frank predigt und praktiziert die Zerstörung, den Abstieg, den Weg in den Abgrund, den moralischen Niedergang als notwendigen Weg nach oben… Frank und seine Jünger praktizieren „antinomistische Rituale“. Solche mit kabbalistischen Symbolen versehenen Ideen waren bereits bei den Sabbatianern von Thessaloniki und Podolien (einer Region, die der heutigen zentralen Westukraine und dem Nordosten Moldawiens entspricht) in Mode. Nach Frank und den Frankisten muß man sich von allen Geboten, der Keuschheit und der Heiligkeit befreien und in sich selbst hinabsteigen wie in ein Grab (vgl. S. 147–154).

2. Der „Pfad zur linken Hand“ zwischen Satanismus und schwarzer Magie

Stephen Edred Flowers (geb. 1953), ein amerikanischer Universitätsdozent, war ab 1972 Mitglied der „Church of Satan“ (rationalistischer Satanismus) von Anton Szandor LaVey und wechselte dann zum „Temple of Set“ (okkultistischer Satanismus) von Michael Aquino, wo er Großmeister des Order of the Trapezoid war, eines der fünf Orden, aus denen der Temple of Set besteht.

In dem Buch „Lords of the Left-Hand Path“ (1997) beschreibt und preist Flowers den „Pfad“ oder „Weg zur linken Hand“, d. h. den Weg der Selbstvergötterung, der Sünde, der Übertretung und der Umkehrung der Werte, wobei das Böse als gut gilt und umgekehrt (vgl. S. 14–17). Dieser „Weg“ wird im Tantrismus theoretisiert und praktiziert und wird auch von Leuten wie Julius Evola (vgl. S. 29–39), dem Marquis de Sade (vgl. S. 151–155), Aleister Crowley (vgl. S. 229–231), Anton Szandor LaVey und Michael Aquino (vgl. S. 340–355) verfolgt.

Im Jahr 2008 veröffentlichte der Verlag Atanòr in Rom (spezialisiert auf freimaurerische und esoterische Publikationen) das Buch „La via oscura“ („Der dunkle Weg. Einführung in den Pfad zur linken Hand“) von Alberto Brandi. Der derzeitige Redaktionsleiter (seit 1994) von Atanòr Editrice ist Mariano Bianca, ein Freimaurermeister des Großorients von Italien und des Italienischen Symbolischen Ritus.

Als das Buch erschien, war Brandi Leiter der Loge Sothis in Neapel, die dem Dragon Rouge angehört, einem schwedischen Orden der schwarzen Magie. Das Vorwort des Buches stammt von Thomas Karlsson, Professor für Geschichte der westlichen Esoterik an der Universität Stockholm (Schweden) und Gründer von Dragon Rouge. Das Buch preist die Schlange der Genesis (Luzifer, Teufel), die schwarze Magie und den Pfad zur linken Hand.

3. Unter den Freimaurermeistern…

Bereits das erste Ritual des dritten Freimaurergrades, das 1730 in London veröffentlicht wurde, macht deutlich, daß die Freimaurerloge (für die Freimaurer der heilige Ort, der den Tempel Salomons darstellt) der Ort eines symbolischen Mordes, eines symbolischen oder initiatischen Todes ist: Die Loge „tötet“ den Kandidaten symbolisch, indem sie ihn mit Hiram Abiff, dem angeblichen Architekten des Tempels Salomons, identifiziert. Die nachfolgenden englischen Freimaurerrituale des 18. und 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart veranschaulichen die Rolle des Meisters und der beiden Logenaufseher als symbolische Attentäter des Hiram/Kandidaten. Nach der rituellen Legende wird Hirams Leichnam, nachdem er im Zustand der Verwesung gefunden wurde, in den Tempel gebracht und im Allerheiligsten beigesetzt. Mord und symbolische Unreinheit (Fäulnis) im heiligen Tempel, d. h. der Loge, sind im dritten Grad notwendig (vgl. hier). In diesen rituellen Elementen erkenne ich eine Logik, die mit jener der „heterodoxen“ Kabbalisten wie Schabbatai Zwi und Jacob Frank übereinstimmt, nach der eine Übertretung notwendig ist…

Neben strukturellen Elementen des Dritten Grades und der Hochgrade gibt es auch Freimaurer, die von der Figur des Schabbatai Zwi fasziniert sind oder zumindest die Notwendigkeit des Bösen bejahen.

Auch die Vielfalt der rituellen, philosophischen und religiösen Rollen, die die Freimaurer spielen, ist des sabbatianischen/frankistischen Geistes würdig. In der Basisfreimaurerei oder Craft Masonry interpretiert der Meister das Gute und das Böse… In den Graden des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus (AASR) ist der Freimaurer dann: Levit und jüdischer Priester, dann christlicher Rosenkreuzer-Ritter, Priester der alten (heidnischen) Mysterien, Hermetiker-Alchemist, gnostischer Templer und schließlich Souverän (33° Grad), der alles übertrifft und alles umfaßt…

3.1 Die Initiation: Abstieg in die Unterwelt

In verschiedenen Freimaurergraden (die ich in Klammern anführe) gibt es das Thema des Abstiegs: in die Unterwelt (1. Grad), in die Gruft (3°; 30° AASR), in den Untergrund oder die Krypta des Tempels (englischer Royal Arch; 13° AASR, mit kabbalistischen Elementen), in die Dunkelheit und in die Hölle (18° AASR). Der Abstieg in die Unterwelt oder das Grab wird auch im 32° und 33° des AASR angedeutet, wo der Tempel mit Figuren von Schädeln, Knochen, Skeletten tapeziert ist… Bereits im Ersten Grad, dem Lehrlingsgrad, wird gelehrt, daß die Loge vom höchsten Himmel bis zum Mittelpunkt der Erde reicht…

Der Freimaurer Claudio Bonvecchio (Großorator, später stellvertretender Großmeister des Großorient von Italien) erklärt, daß die initiatorische und esoterische Erfahrung „die Erfahrung des initiatorischen Todes, des symbolischen Todes“ ist. Der Eingeweihte muß „in jeder initiatorischen und esoterischen Dimension“ in die Inferi, die Unterwelt, hinabsteigen, „in die Dunkelheit des Unbewußten“, um „die archetypischen Bilder der Mütter“ zu entdecken, d. h. die „Trieb- oder Instinktkräfte“, die „lebensspendend“ sind („Leben ist in der Tat Trieb, unbewußtes und unkontrollierbares Verlangen nach Bewegung, Zeugung und Regeneration“), aber sie können auch „Tod“, „Auflösung“ oder „unbestimmte Vereinigung mit dem Ganzen“ geben. Bonvecchio erklärt, daß solche Initiationskonzepte durch „Mephisto“ (den Dämon) in Goethes berühmtem Drama „Faust“ veranschaulicht werden. Der Eingeweihte muß solche „Mütter“ in sein eigenes höheres Bewußtsein reintegrieren, vgl. C. Bonvecchio, Esoterismo e Iniziazione (Esoterik und Initiation), in: Grande Oriente d’Italia – Palazzo Giustiniani (Hg.): Sulla soglia del Sacro: Esoterismo ed Iniziazione nelle grandi religioni e nella tradizione massonica (An der Schwelle des Heiligen. Esoterik und Initiation in den großen Religionen und in der freimaurerischen Tradition), Mimesis, Mailand 2002, S. 174ff).

3.2 Der Ritter Kadosch und die Übertretung 

Der berühmte Freimaurer Albert Pike 33°, Souveräner Großkomtur des Supreme Council 33° (des Obersten Rates der Hochgradfreimaurer des 33°) von Washington D.C., von 1859 bis 1891, macht in seinem freimaurerischen Opus „Morals and Dogma“ (The Supreme Council 33°, Washington D.C., 1871), der den 30° im Alten und Angenommenen Schottischen Ritus (AASR) des Ritters Kadosch oder des Ritters des Schwarzen und Weißen Adlers kommentiert, sehr deutlich, daß der Eingeweihte in die Hölle hinabsteigen, das katholische Dogma umstürzen und den Teufel als Leiter benutzen muß, um zum Licht aufzusteigen (vgl. S. 822).

In seinem Buch „Du Temple de Salomon à l’Echelle Mystique“ („Vom Tempel Salomons zur Mystischen Leiter“, Editions Détrad, Paris 2013) kommentiert der 33°-Freimaurer Daniel Beresniak vom Grand Orient de France die Grade 27°–30° des AASR. Nach Beresniak (1933–2005) ist der schönste an Gott gerichtete Segen derjenige von Schabbatai Zwi, der Gott dafür preist, daß er alles Verbotene zuläßt, und dies – so Beresniak – ist das religiöse Nec plus ultra der Kadosch-Maurer (vgl. S. 67).

3.3 Kabbalistische und/oder sabbatianische Elemente im 33° AASR?

Im Alten und Angenommenen Schottischen Ritus ist das kabbalistische Thema im 4°, 13° und 14° am deutlichsten.

Beim 33. und höchsten Grad des Souveränen Großinspektors des AASR wird der Tempel mit silberbedeckten Totenköpfen, gekreuzten Schienbeinen und Skeletten ausgelegt, als Symbol dafür, daß die Freimaurerei die Gesellschaft erneuert, so wie der Tod die Natur regeneriert (vgl. Supremo Consiglio dei XXXIII per la Giurisdizione Italiana, Rituale del Supremo Consiglio dei XXXIII, Rom XXI Aprile MMDCLVIII A.U.C. [1905], S. 3f)4. Über dem Thron des Souveränen Großbefehlshabers, im Orient, befinden sich die hebräischen Buchstaben des Wortes „Jehova“, „die Causa Prima“, „Erste Ursache“ (vgl. S. 4). Das Gute und das Böse werden als „die beiden Lichter definiert, die die Synthese der immateriellen universellen Schöpfung symbolisieren“, und durch einen zweiarmigen Leuchter im Süden des Tempels dargestellt (vgl. S. 22). Im Norden hält ein stehendes Skelett einen Dolch in der rechten Hand, in der linken Hand die Flagge des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus (AASR) (vgl. S. 5, 24).

3.4 Ein voodooistischer Gelehrter des „Sabbatianismus“

Daniele Mansuino ist ein Freimaurermeister, wahrscheinlich des Großorient von Italien (s. hier), und zugleich ein „Meister der dominikanischen Voodoo-Tradition“ (hier). Voodoo ist schwarze Magie.

In dem Artikel „Der Weg der Sünde“ (Dezember 2018) geht Mansuino auf die Lehre von Schabbatai Zwi (1626–1676) ein, der das Bild des Abstiegs in die Eingeweide des Berges verwendet, um die messianische Notwendigkeit des Abstiegs in die Unterwelt, in die Abgründe der Sünde, der Sünde als Weg zur Erlösung auszudrücken… Den Sabbatianern zufolge kommen Gut und Böse von Gott und sind in Gott. Mansuino sagt, daß es in der talmudischen Tradition „mitzah ha’bah ba’ahverah“ gibt, d. h., „die Möglichkeit, ein Gebot zu erfüllen, indem man es übertritt“. Ein wichtiges kabbalistisches Traktat über den Weg der Sünde ist das „Traktat der linken Emanation“ von Isaac Ben Jacob ha-Kohen (1013–1103, auch Isaak Alfasi oder Rif), das „die traditionelle Legitimität des Weges der Sünde“ verteidigt (hier).

Mansuino zufolge hat sich „infolge der Tätigkeit der sabbatianischen Missionare des 18. Jahrhunderts“ in der englischen Freimaurerei, die als „of the Mark“ bekannt ist, eine „interessante Familie von Ritualen herausgebildet, die das sogenannte Zeichen des Kain ausstellten“.

Mansuino beendet seinen Artikel mit einem Zitat von Jacob Frank, demzufolge „der Weg von Edom“ (der Weg der Sünde) zum Glück führen wird (s. hier).

In vier Artikeln erläutert Mansuino eine sabbatianische Abhandlung über Sexualmagie, das 1725 in Prag veröffentlichte „Va-avo ha-Yom el ha-Ayin“ (übersetzt: „Ich bin heute zur Quelle gekommen“) (hier die Artikel 123 und 4).

In dem Buch „666“ (Verlag Amenothes, 2015), das der Figur des Schabbatai Zwi gewidmet ist, stellt Daniele Mansuino schließlich fest: „Nicht wenige Sabbatianer sind heute in der Welt der Pornographie tätig“ (S. 33, Fußnote 24).

Ich komme zu dem Schluß: Juden und Rabbiner des 17. und 18. Jahrhunderts taten gut daran, den Sabbatianismus zu verurteilen, der für Juden und Katholiken gleichermaßen sehr gefährlich ist..

von Pater Paolo M. Siano

https://katholisches.info/2023/02/01/erloesung-durch-suende-oder-der-pfad-zur-linken-hand/

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