Geschichte und Religion des Judentums

Vom 16.Jahrhundert. bis Gegenwart.

Mitschrift der Vorlesung von Ao. Univ.Prof. Dr. Klaus DAVIDOWICZ 
Themen 

16. Jahrhundert 

1. Judentum in der italienischen Renaissance 

2. Das „goldene Zeitalter" in Polen 17. -18. Jahrhundert 


Esoterik und Aufklärung 

3. Messianische Bewegungen 

4. Die Aufklärung (Haskala) 19. Jahrhundert 


5. Die Reformbewegung 

6. Die Neo-Orthodoxie - S.R Hirsch 

7. Jüdische Historiographie 

8. Antisemitismus im 19. Jahrhundert 20. Jahrhundert 


Renaissance jüdischer Kultur in Ost und West 

9. Zionismus  Probleme jüdischer Identität 

10. Die Schoa Post-Schoa Problematik 

Juden in Europa, den USA und Israel 
heute 
1. JUDENTUM IN DER ITALIENISCHEN RENAISSANCE
Es gibt verschiedene Methoden und Ansätze einen Überblick über die Geschichte und Religion des Judentums in der Neuzeit zu gestalten. 

Sehr oft wird dabei die Zentrumstheorie angewendet. Dabei geht man davon aus, welche jüdischen Zentren die Diaspora besonders beeinflußt oder besondere Werke hervorgebracht haben, so wie im Mittelalter Spanien, in der Renaissance Italien und Polen, später dann 
Deutschland und heute Amerika und Israel. 

Eine andere Methode ist es, Personen und ihre Werke in das Blickfeld zu stellen. Das wird dann eine Galerie der Persönlichkeiten, von Isaak Luria über Moses Mendelssohn und Franz Rosenzweig zu Levinas und Leibowitz. 

Ich neige zu einer Methode, die ein bißchen von beidem ist, aber vor allem eine Frage ins Zentrum der Untersuchung stellt: 

• Was war der Antrieb für die jeweiligen Werke, 

• wo liegen die Hintergründe? 

Stellt man sich fortwährend im Laufe der wechselvollen jüdischen Geschichte die Frage nach den Ursachen und Hintergründen, schälen sich eine Reihe von Elementen heraus, die immer wieder ans Licht kommen und eine kleine jüdische Ideengeschichte bilden: 

• Assimilation, 

• Aufklärung, 

• Reform, 

• Tradition, 

• Kabbala, 

• Zionismus. 

Elemente, die entscheidend für die jüdische Geschichte waren und sind. 
1.2 2. Geschichtlicher Hintergrund

Ich beginne heute mit der Renaissance im italienischen 16. Jahrhundert. Hier haben wir das geradezu klassische Thema. Judentum und Kultur der Umgebung. 

Wie reagiert das ital. Judentum auf die aufblühende Kultur der Renaissance? 

Überhaupt nicht oder übernimmt es sie, stellt die eigene Tradition in Frage bis hin, zur völligen Assimilierung oder kommt es zu einer fruchtbaren Entwicklung wie im islamischen Spanien? 

Das italienische Judentum ist uralt, es gibt Spuren bereits seit der Römerzeit. Es gab immer wieder jüdische Ansiedlungen, stets klein. 

Vor dem 13. Jahrhundert war es einer Handvoll Juden erlaubt, sich nördlich von Rom anzusiedeln. Ab dem 13. und 14. Jahrhundert sollte das anders werden. Wie sie wissen, hatte die Kirche zu jener Zeit begonnen, Christen die Geldwirtschaft zu verbieten, und Juden war der Zutritt zu Handwerkszünften verwehrt, so dass man ihnen den Geldverleih überließ. So kam es, dass einzelne ital. Stadtstaaten einzelne jüdische Geldverleiher einluden. Diese bekamen eine bestimmte Aufenthaltsgenehmigung, eine condotta= Vertrag. 
Diese widerum zogen andere Juden, teils aus familiären Gründen, nach. So entstanden in Ancona, Urbino, Perugia, Padua, Bologna oder Milano kleine jüd. Gemeinden, die von der Machtposition der Geldverleiher am Hof abhingen. 

Wenn es zu Vertreibungen kam (meist durch kirchliche Kampagnen, wie von Bernardino von Siena oder Antonio von Florenz), wanderte man meist nicht weit, sondern zum nächsten Stadtstaat. 

Diese Geldverleiher waren oft nicht nur Finanzmenschen, sondern auch Gelehrte, Ärzte, Astrologen, Astronomen, Philosophen oder Kabbalisten. Waren sie es nicht, wurden sie zu Mäzenen, die Gelehrte finanziell unterstützten.

Ab dem 15. Jahrhundert begannen die Gemeinden zu wachsen (dies kann man an der wachsenden Zahl von Synagogen und Friedhöfen sehen), dies hing auch mit den Vertreibungen in Spanien und Deutschland zusammen. 

1.3 Renaissance 

Die Blüte des jüdisch-spanischen Mittelalters endete nicht mit der Vertreibung. Ihre Erben waren die Vertreter der Kultur der italienischen Juden zur Zeit der Renaissance, die sozusagen den Epilog dieser Epoche bildet. 



1.3.1 Was war die Renaissance des 15. Jahrhunderts? 


Es war eine Wiedergeburt der Ideale der Antike. 

Das Christentum schüttelte die Ketten der mittelalterlichen Aske und Scholastik ab. Es befreite sich von der kirchlichen Überwachung, von den Idealen der Sündlosigkeit und Heiligkeit, und schaute auf die Kultur der Griechen und Römer. 

Diese vorchristliche Welt sollte das Modell der Renaissance sein. Der Renaissance-Mensch beginnt sein „ich" zu entdecken, seine Freiheit und Unabhängigkeit, seine Individualität, sein. 

Selbstbewußtsein und seinen freien Willen. 

Drei Hauptlinien entwickelten sich: 

• der Aristotelismus, 

• der Humanismus und 

• Neoplatonismus. 

Der Humanismus schaute auf den Menschen, nicht auf seine Herkunft, seine Klasse. So hatten die Juden oft viel größere Freiheiten als anderswo. 
1.3.2 Judentum 


In den ital. Universitäten studierten Juden Naturwissenschaften, Astronomie und Medizin. Unter Leo X. (Giovanni de Medici) als Papst in Rom, lebten die Juden Roms so friedlich, dass sie nach Jerusalem schrieben, ob es schon Zeichen dafür gegeben hätte, dass die messianische Ära bereits begonnen habe. Natürlich waren die Bedingungen unter denen Juden lebten, von Stadt zu Stadt anders. In der Renaissance wurden die pantheistischen Ideale 
der Antike, die Vielzahl der Götter und die Kraft und Schönheit der Körper wiederentdeckt. 
Denken Sie an die Sixtinische Kapelle des Michelangelo, wo Gott dargestellt ist, der Adam schafft. 

Wie wirkte dies auf Juden ? 

Frühe Erforschungen der Juden in der Renaissance (wie Cecil Roth) sind trotz ihres durchaus lesenswerten Stils als überholt zu betrachten - neuere Erforschungen sind von Robert Bonfil oder David Ruderman. 

Roth sah in der jüd. Renaissancekultur eine Imitation. Juden schufen in Genren, die typisch für die Renaissance waren: Geschichte, Rhetorik, Biographie und Poetik, und bisher im Judentum vorherrschende lit. Gattungen, wie Auslegung, Predigt, Grammatik und Poetik wurden humanistisch modifiziert. Roth schrieb, „Wi es kristelt sich, azoi yidelt sich"- so wie es der NichtJude macht, so macht es der Jude nach. Das ist Unsinn durch eine traditionelle 
Brille gefiltert. Die jüd. Kultur der Renaissance war ein fruchtbares Aufnehmen von ganz bestimmten Werten unter einer bestimmten Auswahl. 

Sie übernahmen nicht das humanistische Weisheitsideal der Griechen und Römer. Ihnen wurde bewußt, als sie in ihre eigene Vergangenheit schauten, dass sie selbst eine Weisheit, eine Sprache und Literatur besaßen, die älter als die der Griechen und Römer war. 

Um zu vermeiden, die fremden Völker nachzuahmen, versuchten sie zu beweisen, dass in ihren Quellen bereist die humanistischen Ideale und Weisheiten existierten und diese die Griechen und Römer beeinflußt hatten. 

Sie schrieben Werke zu Grammatik, Rhetorik, Poetik, Geschichte und polit. Philosophie, auf hebräisch oder italienisch, indem sie biblische Modelle anstatt der griech.-röm. heranzogen. 


1.3.3 Beispiele für die jüd. ital. Renaissance 


Es entstand eine Öffnung zu einer Welt, die sich im Aufbruch befand, und keine Assimilation, es war stattdessen eine Teilnahme an der Renaissance mit ihrer Betonung der freien Forschung. 
Der Arzt Mose di Rieti (1388-1460)schrieb eine Art hebräische Divina Comedia (Dante) und Jehuda ben Issak Arbabanel (Leone ebreo, 1460-1 523) 
schuf mit den Dialoghi di amore ein wichtiges Stück Renaissance-Philosophie. Es geht um die Liebe, das Wichtigste ist nicht der Besitz, sondern der Genuß des Schönen und Guten, verkörpert durch den Geliebten. 

Yehuda Messer Leon (1420-1490), Arzt und Lehrer, der in Padua, Mantua und Neapel lebte. 

Wichtigstes Werk ist „The Book of the Honeycom's Flow-Nofet Tzufim" (Mantua 
1475, engl. 1983). Er hatte Rhetorik studiert und versuchte diese in der Bibel zu entdecken. Er kam zum Schluß, dass alle Lehren der Rhetorik dort zu finden sind, ja, dass diese die Quelle der Rhetorik sei. 
Z. B: Psalm 45 beginnt mit „Nach der Weise der Lilien" In dem Wort 
„Schoschanim" sah er das „Schesch", was auf die sechs Teile der Rhetorik 
hinweist: Einführung, Erklärung der Fakten, Teilung, Beweis, Widerlegung, 
Schluß. Er verstand unter diesem Psalm eine rhetorische Beweisführung über 
den Messias, seine Taten und Eigenschaften, aufgrund dessen man ihn als 
Messias erkennt. Oder 2 Sam 14, 1-20 enthält eine Unterhaltung, die er als 
Beispiel der Rhetorik ausweist. 

Die Poeten hatten es einfacher, in der Bibel Beispiele poetischer Natur zu finden, wie es der erste jüd. Historiker seit Falvius Josephus, Azariah de Rossi (1511-1578), unternahm. Man hatte das Studium der Geschichte als Zeitverschwendung betrachtet, gleich ob man Talmudist, Philosoph oder Kabbaiist war, alle lehnten die Geschichte ab. 
Nun wurden allein im 16. Jahrhundert rund ein Dutzend historischer Arbeiten verfaßt. Dies zeigt eine bedeutende Veränderung an, die auf humanistisches Gedankengut zurückgeht. Man 
sollte in die Geschichte zurückgehen, um auszuwählen und zu studieren, um daraus für die Gegenwart zu lernen. 
Rossis „Meor Enajim-Erleuchtung der Augen" von 1573 entstand zufällig. Er floh nach einem Erdbeben 1571 aufs Land. Dort befragte ihn ein christlicher Gelehrte nach dem Original des Aristeasbriefes. So neugierig geworden befaßte er sich mit Schriften, deren Original verloren oder einfach 
vergessen war. Sein dreiteiliges historisch-kritisches Werk beschäftigt sich seit vielerlei Themen, wie Philo, der Septuaginta, jüdischer Chronologie. Er bewies, dass die Bezeichnung „seit Erschaffung der Welt" mittelalterlich ist, ebenso wie der „antike" Jossipon. 
Er verglich rabbin. Tradition mit profaner Litertaur als Kontrollinstanz. Sein Werk wurde heftig bekämpft, Josef Karo erließ sogar ein Dekret, 
dass man das Buch verbrennen müsse, starb jedoch vorher. 
Man durfte es erst ab 25 lesen. Die Haskala entdeckte es wieder und ließ es 1794 neu drucken. 

Ein markantes Beispiel für die Biographie ist Yochanan Alemanno (1435-1504), ein Lehrer, Rabbiner und Arzt. Er verfaßte das „Lied von Shlomos Aufstieg", indem er zeigte, dass König Shlomo ein „uomo universale", ein „chakham shalem" gewesen sei, indem er alle bekannten Künste und Wissenschaften beherrscht hat. 

Erst die Renaissance, die den Menschen ins Zentrum rückte, machte eine literarische Gattung wie die Biographie möglich. 

Leone (Yehuda Arie) Modena (1571-1648) aus Venedig war Dichter, Prediger, Musiker, Astrologe, Alchemist und Spieler. In „Qol Sakhal -Stimme des Unvernünftigen" griff er die rabbinische Tradition an und betrachtete die Vervielfältigung der Gebote als Mittel, mit der die Rabbinen über das 
jüdische Volk herrschen wollen. Sein „Chajje Jehuda = Das Leben Jehudas" ist eine offene Autobiographie, über gescheiterte Liebe, gescheiterte Berufe, immerhin 26, Spielleidenschaft etc. 

Yehuda Portaleone aus Mantua suchte in der Bibel das Vorbild für Bühnenstoffe, für Dramen und Tragödien und erkannte, dass Job die Urzelle der Tragödie sei. In den Midraschim fand er Vorbilder der geistvollen Komödie. 

Umgekehrt beeinflußten auch viele jüd. Gelehrte christliche Gelehrte und Gedankengut. Viele der Humanisten in Florenz suchten nach der verlorenen gemeinsamen Urtradition aller Weltreligionen. Der erste Anhänger der Richtung, die glaubte, in der Kabbala die verlorene Uroffenbarung zu finden, um zu einem tieferen Verstehen der antiken Philosophen, aber auch des christlichen Gedankentums zu gelangen, war der Humanist Graf Giovanni Pico della Mirandola (1463-1494). 

Schon sehr früh lernte Pico viele Sprachen, darunter Arabisch und Chaldäisch, sowie Philosophie und Theologie. Pico sah in der Kabbala eine geheime jüdische 
Überlieferung, die bereits oben erwähnte "verlorene Urtradition" der Menschheit, die eine Vor-Deutung des Christentums beinhaltet. Wie sehr Pico aber auch unter dem Eindruck des Neupythagoräismus mit seiner besonderen Wertschätzung der Zahl stand, zeigt sein Interesse für Buchstabenkombinationen und Sprachspekulationen. In seiner Schrift "Heptaplus" erklärt Pico bspw., das hebräische Wort für Himmel, schamajim, setze sich aus esch = Feuer und majim = Wasser zusammen. Wie groß die Ignoranz dem Judentum gegenüber war, aus welchen Verdrehungen und Verzerrungen das Bild des Juden in der damaligen Zeit geprägt war, zeigt Pico in seinem Buch "Über die Würde des Menschen" : "Schon beim Hören des Wortes Kabbala schien meine Gegner ein Entsetzen zu überschleichen. Unter der Kabbala stellten sie sich nicht Menschen, sondern Zaubertiere, Kentauren oder irgendwelche Wunderwesen vor. 
Eine amüsante Episode. Einer der Gegner wurde gefragt, wer denn eigentlich 
Kabbala sei. Er antwortete: Das war ein abtrünniger Wicht und ein dämonischer 
Gesell, der Verfasser vieler Schriften gegen Christen. " 
Pico beabsichtigte, einen Philosophenkongreß in Rom abzuhalten und dort die von ihm aufgestellten 900 Thesen zur Diskussion zu stellen. 

Eine der Thesen lautet: 

"Es ist kain Kunst, die uns mer gewiss mach von der gothait Christi dan Magia 
und Cabala." Die päpstliche Kurie untersagte den Kongreß, worauf Pico eine 
Verteidigung seiner Thesen 1486 veröffentlichte, was einen päpstlichen Bann zur Folge hatte. 

Vier Jahre später traf Pico mit dem deutschen Humanisten Johannes Reuchlin (1455- 1522) in Florenz zusammen. Durch diese Begegnung wurde Reuchlin sehr beeindruckt und Picos Schriften regten ihn an, sich selbst mit der Kabbala zu beschäftigen. 
Sechs der neun Hauptarbeiten Reuchlins haben die hebräische Sprache und das Judentum zum Thema, zwei darunter die "receptio symbolica" der Juden, die Kabbala. Das erste Buch Reuchlins, das sich mit Problemen des Judentums ernsthaft befaßt, "De Verbo Mirificio", steht noch unter den frischen Eindruck der Begegnung mit Pico und der Beziehung zu dem hochgebildeten jüdischen Arzt Jakob ben Jechiel Loans in den Jahren 1492-1493. 

Reuchlin schuf mit seinem Werk 'De Verbo." eine bunte Mischung aus Theologie, Philosophie, wie bspw. die neuplatonischen Spekulationen über die Urtradition, und Dichtung. 'De Verbo." stellt natürlich das Christentum als die wahre Religion heraus. Dabei stellt Reuchlin manche Begriffe wie bspw. die "Traditionskette" oft verwirrend oder einfach falsch dar. Das "wundertätige Wort" ist der Gottesname. 

Der Höhepunkt von Reuchlins Schrift ist Capnions Erklärung der drei schöpferischen Gottesnamen in drei verschiedenen Weltzeitaltern. 

• Im ersten Weltzeitalter, dem der Natur, habe der dreikonsonantige Gottesname, Schin, Dalet und Jod = Schadai schöpferische Kraft, 

• im zweiten, dem Zeitalter des Gesetzes, besitze das Tetragrammaton Jod, Heh, 
Wav, Heh diese Macht und 

• im dritten, der Zeit der Gnade oder Erlösung, hätte, durch die Einschiebung 
eines Schin, der Name Jod, Heh, Schin, Wav, Heh = Jeschuh (die hebräische 
Form von Jesus), dieser die Kraft der Schöpfung. Der Name Jesu sei das 
verbun mirificum, in dem der unaussprechliche Name Gottes aussprechbar 
geworden sei. 

Reuchlins Spätwerk, "De Arte Cabbalistica" , ist der erste bedeutende Schritt zur europäischen Kabbalaerforschung. Hier wird die Kabbala als Urtradition befunden, die göttliche Dinge zum Inhalt hat und bereits durch Adam im Paradies von der Menschheit "empfangen" wurde, während früher Reuchlin Abraham als Überlieferer dieser verlorenen Wahrheiten bezeichnet hatte. 


1.3.4 Niedergang 

Im 16. Jahrhundert, dem Zeitalter der Reformation, sank der Zenit der Renaissance und der jüdischen Kultur in Italien, die Zeit des Ghettos begann (bis 1800). Dies hängt auch mit den Kämpfen der Reformation und Gegenreformation zusammen. Die Kirche verteidigt und spaltet sich, was in blutige Kriege mündet. 

Während der Gegenreformation wird die völlige Trennung der Christen von anderen „schädlichen" religiösen Einflüssen gefordert. 

1516 wird das Ghetto von Venedig (Wandlung des Wortes Ghetto, zuerst bezeichnet es nur die Gegend, in der das Judenquartier liegt, neben einer Gießerei getto, die Juden beziehen das auf das Wort get Scheidung, daher im Laufe der Zeit Ghetto als Synonym für die Trennung) gegründet, 

1553 befiehlt Julius III. eine Talmudverbrennung, 

1555 gibt Paul IV die Bulle "Cum nimis absurdum" heraus, wodurch 

1555 das Ghetto von Rom entsteht. 



2. JUDEN IN POLEN 

Die Erforschung der Geschichte der Juden in Polen beginnt mit Pionieren wie Moses Schorr, Majer Balaban und Simon Dubnowl. Nach ihnen haben u.a. S.W. Baron, Alexander Hertz, Moses Shulvass^, Bernard Weinryb und Gershon David Hunderte umfassende Forschungen vorgelegt, die in den letzten Jahren von Institutionen wie dem „Center for Polish-Jewish Studies"5 in Oxford, dem „Research Center on Jewish History and Culture in Poland" an der 
Jagiellonen Universität Krakau^ oder dem „Institut für die Geschichte der Juden in Polen" in Warschau fortgeführt werden. Dennoch steht noch vieles aus.
 
„Balabans Werk wartet auf Historiker, die es, gestützt auf neue methodologische Einsichten und einen erweiterten Wissensstand, in neuer Weise fortführen. Die Wissenschaft, das polnische und das jüdische Volk sowie beider Kultur haben solche Historiker bitter nötig. " 

Der Schriftsteller S.J. Agnon erzählt auf legendäre Weise über die Anfänge des jüdischen Polen: 

„Israel sah, dass die Verfolgungen immer weiter gingen, dass immer neue Nöte über sie hereinbrachen, dass die Unterdrückung immer härter wurde und die Herrschaft des Frevels immer neue Verhängnisse über sie verfügte. Da standen sie nun am Kreuzweg und fragten sich, welchen Pfad sie wählen sollten, um ihren Seelen Ruhe und Erholung zu finden. Da fiel ein Zettel vom Himmel: Geht nach Polen! (...) Warum aber nannten sie es Polen? Es sprach die Gemeinde Israel vor dem Heiligen, gelobt sei Er: Herr der Welt, wenn die Stunde meiner Erlösung noch nicht gekommen ist, nächtige hier mit uns in der Nacht der Zerstreuung meines Volkes." 

Polin, hebr. für Polen, ergibt durch die Silbentrennung das Wortspiel po-lin („hier übernachte"). Dieses Wortspiel stammt von dem herausragenden Krakauer Talmudgelehrten R. Moses b. Israel Lazarus Isseries (gen. ReMa, 1525-1572). Wie beliebt solche volkstümlichen Etymologien und Wortspiele waren, zeigt die sehr ähnliche Geschichte aus dem osmanischen Reich über die Stadt Konya. 

„Zwei Heilige kamen von Khorassan, sanft fliegend und schwebend, bis sie die Gipfel der beiden Berge sahen, die die Konya-Ebene begrenzen. Der Anblick gefiel ihnen, und einer fragte den anderen: 'konalim mi?' - (Sollen wir uns hier niederlassen?), und der andere antwortete: 'Konya!' (Gewiß, laß dich nieder!)"!  

2.1 Das goldene Zeitalter 

Das viel gerühmte goldene Zeitalter der Juden in Polen blühte als auch Polen auf dem Zenit stand: ca. 1500-1648. 
Nach Verfolgungen in Deutschland, vor allem zwischen 1298 und 1348. 

Der päpstliche Legat Kardinal Commendoni schrieb um 1565: 

„In diesen Gegenden sind große Massen von Juden anzutreffen, denen man hier noch nicht die gleiche Verachtung wie sonst entgegenzubringen pflegt. Ihre Lage ist bei weitem nicht so elend und ihre Beschäftigungen nicht durchweg erniedrigender Art; vielmehr gibt es unter ihnen Grundbesitzer, Großkaufleute und auch Männer, die sich mit dem Studium der Medizin und der Astronomie abgeben. Sie besitzen große Reichtümer und werden nicht nur zu den anständigen Menschen gezählt, sondern sind diesen zuweilen sogar übergeordnet. Weit davon entfernt, irgendein sie von den Christen unterscheidendes Abzeichen zu tragen, erfreuen sie sich sogar des Rechtes, Waffen bei sich zu führen, wie sie denn überhaupt im Genüsse des Vollbürgerrechtes sind."  

Im 15. Jahrhundert gab es mehr als 60 Gemeinden, zwischen 20. und 30.000 Juden, im 16. 100.000, um 1648 300.000. 

Im 14. und 15. Jahrhundert waren Juden in allen Sparten des Handels tätig, von Vieh bis Kleidung, handelten mit Venedig und Italien, Krim und Konstantinopel. Zunächst war im 15. Jahrhundert ein deutlich rationaler Strang unter den Juden zu sehen. Sie lernten die traditionellen Schriften, aber auch Astronomie und Medizin, und Philosophie, vor allem eine Vorliebe für den Aristotelismus. 

Litauen, vor allem Wilna, sollte eine Hochburg der Tradition, verstärkt durch Rationalismus, bleiben. 
Im 16. und 17. Jahrhundert war Polen, gleich mit dem ökonomischen und demographischen Wuchs, das Zentrum der Aschkenasisehen Kultur. Mordechai b. Abraham Jaffe, Schalom Schachna aus Lublin, Salomo Luira, waren große Talmudgelehrte.
Moses Isseries hatte die Glossen zum Schulchan Aruch verfaßt. Man baute nicht nur faszinierende Holzsynagogen, sondern auch der hebräische Buchdruck florierte. Purim wurde wie Karneval gefeiert, wie Spiele und Stücke und Volkslieder zeigen. 

2.1.1 Vierländersynode 


Die jüdische Selbstverwaltung fand ihren bedeutendsten Ausdruck in der 1580 gegründeten „Vierländersynode" (Großpolen, Kleinpolen, Ruthenien, Litauen). Etwa 730 Gemeinden wurden in diesem Rat vertreten. 1623 wurde der selbständige Sejm („Rat") der Juden Litauens gegründet. 

Neben religiösen und sozialen Belangen zahlte die Synode die seit 1549 eingeführte Kopfsteuer der Juden an die Krone. Diese goldene Zeit darf man sich nicht als eine sorglose Zeit vorstellen. Es ging den Juden einfach besser als in anderen Ländern, in denen sie noch härter verfolgt wurden, bzw. die Ansiedlung noch stärker erschwert wurde. 

2.2 Ritualmordlegende - Verfolgungen - Kossakenmassaker 

Die polnisch-jüdische Geschichte kennt eine nahezu endlose Reihe von 
Ritualmordbeschuldigungen, wie 1598 in Lublin, obwohl König Stephan Bathory die Blutbeschuldigung unter Strafe gestellt hatte.  

Trotz königlicher Privilegien (wie das aus dem Jahr 1453 durch König Kazimierz IV. Jagiellonczyk) kam es aus religiösen, ökonomischen oder politischen Gründen immer wieder zu mehr oder minder schweren Verfolgungen, wie 1483 zur Vertreibung aus Warschau und Krakau und 1495 aus Litauen. 

Der polnische AntiJudaismus wurde stets von der katholischen Kirche gefördert, wie die antijüdische Synode von 1420 oder Erscheinungen wie der Franziskanermönch Johannes Capistrano, der um 1453 als „Judengeißel" bezeichnet wurde, zeigen. 
Aus dem früheren po-lin wurde po-lon-jah („hier ruhte Gott") im 17. Jahrhundert. 
Historische Eckdaten sind der westfälische Frieden von 1648 und die erste polnische Teilung von 1772. In diesen 130 Jahren führten Kriege und Aufstände zur ökonomischen Destabilation des Landes und zu einer tiefen Krise der jüdischen Gemeinden. 

Nach der Einschränkung der Handelsrechte wandten sich die Juden verstärkt der Pacht zu. Als Verwalter polnischer Güter gerieten sie zwischen zwei Fronten - auf der einen Seite standen die katholischen adligen Gutsbesitzer und auf der anderen die entrechteten russisch griechisch-orthodoxe Leibeigenen. Die Gleichgültigkeit und Verachtung des Pan („Herr") 
gegenüber seinen Knechten wurde mit grenzenlosem Haß vergolten, der meist die 
verwaltenden Juden traf. 

Die Bauern schlössen sich hier und dort zu kriegerischen Verbänden zusammen. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts hatte sich bereits eine Kriegergemeinschaft auf der Dnieper-Insel Sie - die Zaporager (von za porogami „jenseits der Stromschnellen") mit Kosaken - zusammengeschlossen. 

Es waren freie Krieger, die von Beutezügen lebten. Die unterdrückte Leibeigenenschaft sah in ihnen eine „nationale Garde", von denen sie sich die Freiheit erhofften. 
Von 1591 begann eine Reihe von Kosakenaufständen, wobei es, wie 1637, zu Pogromen kam. 
Der große Kosakenaufstand wurde erst 1648 (nach jüd. Zählung 5408) unter Bohdan Chmielnicki (1595-1657)14 entfacht, jenem Jahr, das nach einer Stelle des Zohar das Erlösungsjahr sein sollte. 
Diese Zeit sollte als gezerot tach we-tat („Vertreibungen der Jahre 408 und 409 ") in die jüdische Geschichte eingehen. 
Durch den Kosakenaufstand, der sich gegen Polen und Juden richtete, wurden ca. 300 jüdische Gemeinden vernichtet und ca.100.000 Juden auf grausame Weise ermordet, wie man in zeitgenössischen Chroniken lesen kann: 

„Den einen zog man die Haut ab, um das Fleisch den Hunden vorzuwerfen, andere 
wieder wurden bei lebendigem Leibe begraben; schwangeren Frauen schlitzte man den Bauch auf, Säuglinge wurden auf Lanzen gespießt und den Müttern gereicht." 

R. Shabbetai Sheftel Horowitz bezeichnete die Massaker als „dritte Tempelzerstörung". 
Chmielnicki gilt in der Ukraine bis heute als bedeutender Freiheitskämpfer und seine Reiterstatue ziert einen Platz in Kiew. Tossafot Yom Tov ben Nathan Heller verfaßte unter dem Eindruck der Massaker das Klagelied „El Male Rachamin". Polen wurde durch die Invasion Moskaus (1654) erschüttert, wobei es zu weiteren Massakern an der jüdischen Bevölkerung während des Schwedeneinfalls (1655) kam. 
In Folge des sogenannten „Krieges der blutigen Sintflut" blieben von etwa    450 000 Juden,180 000 übrig. 
Der türkisch-polnische Krieg, der offen im Dezember 1671 ausgebrochen 
war, hatte dazu geführt, dass die Ukraine und Podolien durch den „Vorfrieden von Buczacz" von 1672 türkisch wurden. Erst durch den „Frieden von Karlowitz" 1699 wurden Polen/Litauen die Grenzen von 1668 wieder zugestanden. Der „Große Nordkrieg" (Ende 1721), Hungersnöte, Pest, Zerstörung der Städte, Inflation taten ein Übriges, um das soziale Gefüge zu unterhöhlen. 

Bei den Hajdamakenrevolten (1734-1736) wurden wiederum jüdische Gemeinden vernichtet und ca. 100 000 polnische und jüdische Menschen fanden den Tod. Das am Abgrund befindliche Polen erließ eine Flut von Steuererhöhungen für die polnischen Juden. Da die Selbstverwaltung die Garantie für die Schulden der Einzelnen übernommen hatte, konnte sie den Forderungen des Staates nicht mehr nachkommen und musste erhebliche Schulden machen. 

Die „Vierländersynode" wurde 1764 ganz abgeschafft und der polnische Sejm zog von diesem Zeitpunkt an die Kopfsteuer direkt ein. Die soziale Desorganisation schuf Spannungen zwischen den Gemeindeführern und den Mitgliedern. Posten wurden für persönliche Vorteile ausgenützt. Die moralische Autorität der Rabbiner und Vorstände der Gemeinden geriet ins Wanken, da Posten mit denjenigen besetzt wurden, die das meiste Geld bezahlen konnten.  
Mitunter wurde die Führung der Gemeinden von Familienclans bestimmt. Die Yeshiwot konnten durch die Flut der Steuererhöhungen oft nicht mehr erhalten werden. Die traditionellen Strukturen der Gemeinden wurden zunehmend scharf kritisiert und viele suchten Schutz bei nichtjüdischen Gerichten. 

Die folgende Beschwerde jüdischer Bürger aus Litauen ist symptomatisch für jene Zeit: 


„Wir, die jüdischen Einwohner von Schaulen, erklären mit Tränen in den Augen, dass wir weder einen Rabbiner noch Obere brauchen... da sie Erpressung treiben, miteinander Übles aushecken und uns ganz und gar zugrunde richten, und da sie miteinander versippt sind, berauben sie uns unserer letzten Münze, nur um sich selbst zu bereichern. " 

Im Zuge der immer lauter werdenden Kritik an den Führern der Gemeinde, wandelten sich Vereine - wie die Handwerkerinnungen, die eigene Betstuben oder Synagogen unterhielten - zu einer massiven Opposition. Diese Kritik fand ihren Niederschlag in der „Musar"- Literatur mit Schriften wie R. Berechja Berach ben Eliakim Getz' „Sera Berach Schelischi". 
Die Schwäche der Selbstverwaltung wurde von der Kirche, sowie von staatlichen Organen, geschickt genützt. Sie mischten sich ein, wenn es um die Besetzung von jüdischen Ämtern ging. Ein christlicher Missionar schrieb damals über den Niedergang der jüdischen Autonomie: 

„Wie kindisch und lächerlich ist es doch, von eurer Macht und euren Freiheiten zu reden, da ihr sogar das Recht, euren Bräuchen nachzugehen, von den christlichen Herren käuflich erwerben müsset! Auch eurem Rabbiner wird sein Amt nur dadurch zuteil, dass es für ihn bei dem ortsgewaltigen Christen auf Lebenszeit gekauft oder für eine bestimmte Frist gepachtet wird. In gleicher Weise ersteht ihr auf Lebenszeit oder für eine bestimmte Frist die Würde des Kahalältesten. Weder wäre euch der Besitz eurer Synagogen sicher, noch eine jüdische Lebensweise möglich, wenn ihr nicht dem Staate als Ganzem und außerdem jedem Wojwoden, Unterwojwoden und allen sonstigen Beamten Tribut zollen würdet." 

Die Zahl der Ritualmordprozesse nahm in den Jahren 1700-1760 erschreckend zu. 
Wie z. B. in ytomierz (1753). In ytomierz starb ein Kind und der korrupte Bischof Kajetan Soltyk hatte 33 Juden verhaften und foltern lassen. Der Bischof konnte während der Untersuchungen 500 Dukaten und Pelze erpressen.  

Der dänische Botschafter in Warschau Beregard berichtete über ihn: 

„Der Bischof spielt gerne Karten und liebt den Luxus, spielt aber den Glaubenseiferer, um der Königin zu gefallen... " 
Und Beregards Nachfolger Haxthausen schrieb über Soltyk: 

„Soltyk hat sich auf 200.000,- Dukaten verschuldet - sein jährliches Einkommen beträgt 45.000,- fl., er fährt daher aufs Land, läßt einige der Magie verdächtige Juden verbrennen, um sie zu beerben. "
Die meisten der verhafteten Juden wurden zu einem grausamen Tod verurteilt: 

„Der Henker soll ihnen die Arme und Hände mit Baumwolle umwickeln, dieselben 
mit Pech belegen und anzünden. So sollen sie mit brennenden Armen und Händen 
durch die Stadt getrieben werden, wonach der Henker einem jeden drei Hautstreifen schinden und dann alle lebend vierteilen soll. " 

Es gab eine öffentliche Entrüstung in Polen über die Vorgehensweise des betrügerischen Bischofs. Erst durch einen weiteren Ritualmordprozeß wendete sich das Blatt. 
Auf Betreiben des Bischofs Anton Wolowicz wurde versucht, den Juden von Jampol einen Ritualmord unterzuschieben. Man verhaftete 15 und folterte sie, wobei zwei starben. Einer von ihnen, Eliakim ben Asser Selig, konnte fliehen und informierte die Vierländersynode, die wiederum Selig als Vertreter zu Papst Benedikt XIV schickte. Der Papst beauftragte im Sommer 1758 den Nuntius Visconti in Warschau mit einer Untersuchung. Diese zog sich indie Länge. Aber die Propagandamaschine drehte sich weiter. 
Die antijüdische Hetzschrift des Franziskanerpaters Gaudentius Pikulski wurde auf lateinisch und polnisch in Lemberg 1760 veröffentlicht. Z 3 o(ece Yydowska przeciwko Bogu i blifniemu.... („Die jüdische Bosheit gegen Gott und den Nächsten..."). In Pikulskis Schrift war ein Büchlein von Jan Serafinowicz mitabgedruckt, dessen Wahn sich gut mit Pikulskis Propaganda zusammenspannen ließ. Laut Dubnow war Serafinowicz ein Rabbiner, der geisteskrank wurde. Trotz seiner offensichtlich gestörten Psyche ließen ihn Priester auf den Namen Michael Neophyt taufen.  
Serafinowicz' Traktat durchzieht der Gedanke, Juden brauchten christliches Blut. Dabei erreicht er schwindelerregende Höhen des Wahnwitzes, indem er bekannte Riten verdreht und neue erfindet: bei der Hochzeit würden die frisch Vermählten nicht einen Schluck Wein, sondern Christenblut trinken, einem Toten würde man ein mit Blut getränktes Ei auf die Augen legen, der geschäftliche Erfolg von Juden hänge von einem mit christlichem Blut geschriebenen Talisman ab etc. Aufgrund der in diesem Buch beschriebenen Lügen wollte 
der Kleinsejm des Adels zu Wisznja 1761 folgende Punkte durchsetzen: alle jüdischen Bücher sollen verbrannt werden, im Schrifttum und im Gottesdienst dürfe nur noch Polnisch oder Latein benützt werden, jeder jüdische Gottesdienst solle von zwei Christen bewacht werden.  

Doch die Ritualmordbeschuldigungen hängen nicht nur mit übler Propaganda und 
allgemeinem Judenhaß zusammen. Durch zunehmenden Bevölkerungswachstum verarmten die unteren Schichten immer mehr. Um das Leben der Familie zu erhalten, wurde oft ein ungewolltes Neugeborenes ermordet. Auch Kinder vermeintlich untreuer Frauen wurden Opfer. Durch den Druck der antijüdischen Propaganda der polnischen Kirche wurden Kindsmorde als Ritualmorde getarnt. 

Erst 1763 gelang es den jüdischen Gemeinden bei Papst Clemens XIII. eine Art von Sendschreiben als Schutzbrief zu erhalten. Verfaßt hatte es della Serras Nachfolger Nuntius Visconti in französischer Sprache, als Adressat war Minister Graf Brühl vermerkt: 

„Seine Heiligkeit möchte zur allgemeinen Kenntnis bringen, dass der Heilige Stuhl zuletzt alle Begründungen untersucht hat, auf die die Meinung gestützt ist, dass die Juden menschliches Blut brauchten, um Mazze zu machen und dass sie daher schuldig seien am Mord christlicher Kinder. Die Untersuchung ergab, dass man erkannt hat, dass es überhaupt keine genügend klaren und sicheren Beweise gibt, die ausreichen würden, um das Vorurteil aufrechtzuerhalten, und dass man sie wegen solcher Verbrechen für schuldig erklären könnte. Daher darf man im Fall solcher Anklagen das Urteil nicht auf die erwähnten Gründe stützen, sondern an konkrete Beweise halten, die unmittelbar den vorliegenden Fall betreffen und das den Juden vorgeworfene Verbrechen klarzustellen vermögen. "

Polen war ein Land, in dem der Katholizismus eine nicht zu unterschätzende Kraft bildete. Seit 1668 wurde der Abfall vom Katholizismus mit Landesverweisung bestraft. 1718 war der letzte „Reformierte" aus dem Senat ausgeschlossen worden. Zur Zeit eines August III (1733-1763) durften Hofwürden, Staatsstellen und Richterposten nur noch an Katholiken vergeben werden. König Jan II. Kazimierz Wasa legte am 1.4. 1656 seine Krone 
auf den Altar der Kathedrale in Lemberg und rief Maria zur Königin der polnischen Krone und Patronin des Landes aus. 
Am 29.1 1. 1768 hatte sich der Kleinadel unter Pulaski zur „Konföderation von Bar" in Podolien zusammengeschlossen, um die Russen zu vertreiben, 
den ungeliebten König Stanislaw August Poniatowski (1764-1795) abzusetzen und die uneingeschränkte Herrschaft der katholischen Kirche sicherzustellen. 
Der letzte Kampf um Polens Unabhängigkeit wurde in Czestochowa geschlagen, die im August 1772 als letzte polnische Festung geräumt wurde. 

2.3 Krise der Tradition - Chassidismus 

Der Zusammenbruch der traditionellen Gesellschaftsstruktur der Juden in Polen führte, zusammen mit dem Prozeß der Expansion der lurianischen Kabbala zu einer tiefen Krise der Tradition. 

Der Niedergang der rabbinischen Autorität, der Verlust der persönlichen Sicherheit und die zunehmende Verarmung, verstärkte die messianische Hoffnung und den Wunsch nach religiöser und sozialer Erneuerung. Dubnow und bedeutende Historiker nach ihm sahen durch die Kosakenmassaker und die Erschütterungen der jüdischen Tradition die mystischen Bewegungen als Folgeerscheinung einer sozial-ökonomischen Krise. 
Hier muss allerdings zwischen den einzelnen polnischen Gebieten differenziert werden. 
Chassidismus nur als Antwort auf die allgemeine desolate Situation zu sehen wird durch den historischen Hintergrund Podoliens widerlegt. Podolien, die Wiege des Chassidismus, befand sich seit Beginn des 18. Jahrhunderts in einem Aufschwung.  Gewiß gab es viele Verarmte - es gab auch eine beachtliche Zahl von Kaufleuten, deren zunehmender Wohlstand sich in jener Zeit zu entfalten begann. Allerdings war Podolien ein Landstrich, in dem im Volksglauben der Juden, Polen und Ukrainer der Glaube an Dämonen und andere 
übernatürliche Erscheinungen sehr verbreitet war und gleichsam das Erbe von Juden und Christen war. Ebenso gab es Gruppierungen der russischen mystische Sekten wie die Khlysty oder die Dukhabory in Podolien.  Sie waren in den Jahren nach dem großen Schisma von 1666/67 entstanden. Es wurden über 100 Sekten mit mehr als einer Million Anhängern gezählt. Die verschiedenartigen russischen Sekten hatten eines gemeinsam: 
der Gläubige kann sich Gott auch außerhalb der normativen Kirche nähern. Die Methoden, die dabei angewendet wurden, um diesen Zustand zu erreichen, reichen von selbstkasteinder Askese zu wilden Trinkgelagen. 

Es war das Zeitalter der populären Mystik. Die Elemente der Natur bekamen in der polnischen Folklore jener Zeit zunehmend ein geheimnisvolles Eigenleben, das eigenen Herrschern und Lehren unterworfen ist, unabhängig von dem Wissen der Menschen. Neben dieser Welt der Natur existieren die verschiedenen Welten der Geister und Dämonen. Die Rezeption bekannter Legenden und zeitgenössischer Dämonenaustreibungen schlug sich nieder in populären Büchern wie rahv ce (Kav Ha-Jaschar) von Zwi Hirsch Kaidanover (Koidonover, gest. 1712). Kav entspricht nach der Gematria den 102 Kapiteln des Buches und Ha-Jaschar ist ein Acrostichon von „Hirsch". 
Kaidanover beschreibt in anschaulichen Bilder die Strafen und Peinigungen all jener, die sich nicht an die Gebote halten. 

„Die verfluchte Lilith, die Mutter aller Dämonen, die aufgrund unserer zahlreichen Sünden so viele böse Beschlüsse gegen Israel erhoben hat, ist in jedem Haus, in dem falsche Schwüre sind. Sie lebt in diesem Haus und schlachtet kleine Kinder, Gott verhüte. Und in dem Raum oder in der Stadt, in der falsche Schwüre sind, herrscht gewöhnlich die Armut." 

Bei den polnischen Kabbalisten, die meist bei den italienischen Kabbalisten gelernt hatten, spielt die Beschäftigung mit der Seelenwanderung, dem Bösen und die Dämonologie eine entscheidende Rolle. Die dunklen Spekulationen des polnischen Kabbalisten R. Samson von Ostropol bezeichnet er selbst als „lurianisch". Spuren davon finden sich allerdings nicht in den lurianischen Schriften. Es ist authentische „polnische Kabbala", die sich durch den 
Hinweis „lurianisch" zu legitimieren versucht. Auch finden sich in seinen kabbalistischen Visionen, die ihm durch einen himmlischen „Maggid" offenbart wurden, zahlreiche Zitate aus Büchern, die völlig unbekannt sind. R. Samson starb während der Chmielnicki-Massaker. 

In der zeitgenössischen Chronik „Yeven Metzulah" lesen wir: 

„Unter ihnen gab es einen weisen und verständigen und göttlich inspirierten 
Kabbalisten, dessen Name war: unser Lehrer und Meister Rabbi Samson aus der 
heiligen Gemeinde Ostropols. Ein Engel wäre ihm jeden Tag erschienen und hätte ihm die Geheimnisse der Tora gelehrt. Der Mystiker verfaßte einen Kommentar zum Sohar, basierend auf der Kabbala des ARI, gesegnet sei sein Andenken. Aber er wurde nie veröffentlicht. Der Engel hatte ihm von dem kommenden Massaker berichtet, damit durch aufrichtige Reue der böse Beschluß abgewendet werden könne. Er predigte häufig in der Synagoge und hielt die Menschen zur Reue an, damit das Böse nicht kommen kann. Alle Gemeinden bereuten aufrichtig, aber es reichte nicht aus, da der böse Beschluß bereits besiegelt war." 

Die Beschäftigung mit den dämonischen Seiten der Kabbala beeinflußte das Gedankengut und die Folklore der polnischen Juden bis hin zu den Schriften eines Isaac Bashevis Singer. 

1660 schrieb der polnische Kabbaiist R. Jakob B. Moses Temerles über die Verbreitung der kabbalistischen Lehren: 

„Sie haben sich nach allen Seiten ausgebreitet (...). Sie sind in den Gassen bekannt (...) und die Erde ist voller Wissen. Wahrhaftig, alle, groß und klein, sind über die Mysterien des Herrn gut unterrichtet. Damit aber tröste ich mich in meinem Kummer: 
das große Streben und Verlangen unserer Zeitgenossen nach dieser verborgenen Weisheit zu sehen, und alle - Volk und Priester, klein und groß - verlangen danach, zum Mysterium des Herrn zugelassen zu werden und nach ihm zu leben. Gewiß bedeutet dies, dass unsere Rettung nah ist." 

3. MESSIANISCHE BEWEGUNGEN 

Jahrhundertelang hatten die Juden in der Diaspora in ihrer von der Traditon bestimmten Daseinsordnung gelebt. 

Die traditionelle Lebensordnung vermittelt das stetige Bewußtsein, im Exil zu wohnen und den Blick nach Zion zu richten, womit keinesfalls ein politischer Zionismus gemeint ist, sondern das messianische Zeitalter, welches die erhoffte Rückkehr nach Palästina und den Wiederaufbau des Tempels bringen würde. 

Seit dem späten 17. Jahrhundert wurde diese jüdische Lebensform durch messianische Bewegungen und der jüdischen Aufklärung, die eindeutig mit dem Namen Moses Mendelssohn (1729-1786) verbunden ist und die allgemeinen politischen Verhältnisse erschüttert. 

Was hat die lurianische Kabbala und ihr messianischer Mythos vom Exil der göttlichen Lichtfunken mit der aufsehenerregenden Bewegung des Sabbatai Zwi zu tun? 
Die Ideen der lurianischen Kabbalisten, vor allem die von Sarugs, beeinflußten die Propagandaschriften von Sabbatai Zwis Propheten Nathan von Gaza (MaHARaN; 1643- 1680). 

Einer der wesentlichen Unterschiede zu anderen messianischen Erhebungen ist der Umstand, dass sie nicht auf ein einzelnes Gebiet oder Land beschränkt blieb, sondern die Juden im Jemen, Persien, Kurdistan, Polen, Holland, Italien oder Marokko erfaßte. 
Ein nicht zu unterschätzender Faktor für die zunehmende Entfachung der messianischen Hoffnungen waren die grausamen Pogrome in Osteuropa. Die Frage nach der Bedeutung der Chmielnicki-Massaker für den Ausbruch der sabbatianischen Bewegung ist bislang unterschiedlich beantwortet worden. 
Ein Historiker wie Simon Dubnow vertrat die These eines unmittelbaren Einflusses. Scholem dagegen, der von den Methoden der Geistesgeschichte beeinflußt war, erklärte den Sabbatianismus phänomenologisch. Er schob 
Dubnows These beiseite, indem er behauptete: 

„Wenn die Massaker von 1648 auch nur in irgendeiner Hinsicht die Hauptursache waren, warum stand dann der Messias nicht inmitten der polnischen Juden auf? (...) Es ist kaum anzunehmen, dass die marokkanischen Juden durch die Massaker von 1648 besonders betroffen waren, von denen sie wahrscheinlich ohnehin nur wenig erfuhren. "
Natürlich hatten die Juden im Jemen oder in Marokko nichts oder nur sehr wenig von den Kosaken-Unruhen gehört. Aber alle jüdischen Gemeinden jener Zeit, ganz gleich ob sie blühten oder dahin vegetierten, hatten neben dem gemeinsamen Erbe der lurianischen Kabbala und der Hoffnung auf einen Messias eines gemeinsam: 

Die Unsicherheit und Angst vor Verfolgungen. Ereignisse, wie die Wiederaufnahme der Juden in England 1656, die Vernichtung zahlreicher jüdischer Gemeinden während des 30jährigen Krieges (1618-1648) und der daraus resultierende Strom verzweifelter Flüchtlinge hielten das messianische Feuer am Lodern. 

Darüber hinaus sollte man die Frage stellen: Was bedeuteten die Massaker in der Ukraine für Sabbatai Zwi? 

3.1 Sabbatianer 

3.1.1 Sabbatai Zwi 


In den türkischen Häfen hatte er Opfer der Aufstände gesehen, die durch türkische Juden von den Tartaren freigekauft wurden. Die Unruhen waren für Sabbatai Zwi ein Zeichen der Geburtswehen des Messias. Daneben sagte Sabbatai Zwi, dass der Messias ben Joseph, der leidende Messias, der dem Messias ben David nach der Tradition vorangeht, ein Opfer der Massaker namens Abraham Zalman gewesen sei. 

Und schließlich heiratete Sabbatai Zwi Sara, die die Massaker erlebt hatte und von sich sagte, sie würde die Frau des Messias werden. All das waren Punkte, die für das Selbstverständnis Sabbatai Zwis nicht unerheblich waren. 

Er wurde 1626 in Smyrna geboren, in einer Zeit, in der das osmanische Reich bereits den Zenit seiner Blüte überschritten hatte.  Er erhielt eine traditionelle Ausbildung und lernte bei R. Joseph Eskapha. 

Er wurde mit 18 Jahren Chacham („Weiser", die sephardische Bezeichnung für Rabbi). Doch er trat in keiner Gemeinde ein Amt an. Seine Familie kam stattdessen für seinen Unterhalt auf. Bereits in jener Zeit zeigte sich bei ihm neben einer heftigen Neigung zur Aske eine geradezu exzentrische Frömmigkeit. 

Er vertiefte sich ohne die Anleitung eines Lehrers in kabbalistische Schriften. Vor allem studierte er den Zohar. Daneben faszinierte ihn das Sefer ha-Kana, das den Sinn der Gebote kabbalistisch deutet. Paradoxerweise stieß er erst Jahre später auf die lurianische Gedankenwelt. Seine Umwelt war dagegen deutlich von der lurianischen Welt mit ihren messianischen Implikationen geprägt, ohne die die messianische Erhebung keinen großen Widerhall gefunden hätte. Zeitzeugen berichteten über Sabbatai Zwis seltsame ekstatische 
Ausbrüche, auf die meist Phasen tiefster Melancholie folgten. Er schwankte zwischen erschütternden Depressionen und höchsten Euphorien hin und her. 

Samuel Gandur, ein Anhänger Sabbatai Zwis, schrieb 1665: 

„Man sagt von ihm [Sabbatai Zwi], dass er seit 15 Jahren von Leiden folgender Art niedergedrückt wird: Es verfolgt ihn eine Depression, die ihm keine Ruhe läßt und ihm nicht einmal zu lesen erlaubt, ohne dass er zu sagen vermöchte, welcher Art dieser Angstzustand eigentlich sei, der über ihn gekommen sei. So nimmt er ihn auf sich, bis die Depression von seinem Sinne weicht, um dann in großer Freude zu seinen Studien zurückzukehren. Er leidet schon viele Jahre lang an dieser Krankheit, und kein Arzt weiß dafür eine Heilung, sondern sie gehört zu jenen, die vom Himmel [verhängt] werden. " 

Später vollzog Sabbatai Zwi im Zustand der Euphorie wunderliche Taten, die zur Halacha im völligen Widerspruch standen. Diese absonderlichen Handlungen erwartete man nicht von einem jungen Chacham. Später nannten seine Anhänger sie Ma'assim sarim (befremdliche Handlungen). Seine krankhaften Euphorien wurden als Phasen der Erleuchtung bezeichnet. 
Verwirrt durch die mythische Vielheit der kabbalistsichen Welt der Sefirot versuchte Sabbatai Zwi herauszufinden, wo denn eigentlich unter dieser Fülle göttlicher Attribute der Gott Israels zu finden sei. Schließlich soll sich ihm in einer seiner Visionen sein „Gott des Vertrauens" offenbart haben. Er identifizierte ihn mit der Sefira Tiferet, die als Gottesnamen im Zohar das 
Tetragrammaton hat. 
Er entwickelte aber ein trinitarisches Gottesbild. Diese Trinität sind die drei Bänder oder Knöpfe des Glaubens, die auf Elementen aus den Zohar beruhen: dem „heiligen Alten", dem „heiligen König" oder „Gott Israels" und der „höchsten Matrone" oder „Schechina". Die Idee der drei Bänder kann auch von sufistischen Orden beeinflußt worden sein. Sabbatai Zwi soll mit Niyazi Misri (gest. 1697) bekannt gewesen sein, einem bedeutenden Mitglied des 
sufistischen Khalvatiyya-Ordens, und Sufiverse wurden bei den Riten der Dönme verwendet. 

Im sufistischen Bektashi-Orden bilden Allah, Muhammad und Ali eine Art Trinität. Wie in den kabbalistischen Schulen so spielen auch in dem nach Hadjdji Bektash (1247-1338)benannten Orden Zahlenspekulationen und die Seelenwanderung eine große Rolle. 
Sabbatai Zwi begann nun etwas für die jüdische Tradition im Grunde Ungeheuerliches zu tun. 
Er kombinierte Buchstabenspekulationen zum Tetragrammaton und sprach diesen eigentlich unaussprechlichen Namen Gottes öffentlich aus. Diese Dinge hatten für ihn den Zweck der Restauration der göttlichen Harmonie. Außerdem behauptete er, dass die Patriarchen gekommen seien und ihn eingeölt hätten. Schließlich sei Elia erschienen und hätte ihn am 21. Sivan (11. Juni 1648) gesalbt. Dieser Tag wird übrigens bis heute bei den sabbatiani sehen 
Dönme als Fest gefeiert. Er verkündete, dass das messianische Zeitalter der Erlösung angebrochen sei. Die immer häufiger werdenden Aktionen des kuriosen Kabbalisten Sabbatai Zwi wurden immer mehr öffentlichen Ärgernis. Er gewann dadurch keine Anhänger, geschweige denn, dass jemand in ihm den Messias gesehen hätte. 
Zwischen 1651 und 1654 wurde Sabbatai Zwi aus Smyrna verbannt. Zu seinen komischen Aktionen war noch ein Streit mit seinem ehemaligen Lehrer Eskapha hinzu gekommen. 
Sabbatai Zwi hatte gesagt, dass sein kleiner Finger größer sei als die Lenden Eskaphas. Er zog weiter nach Saloniki und Konstantinopel. Er wurde auch aus diesen Städten verbannt, als er wiederum seine Kombinationen des Gottesnamens aussprach. Er stellte Ritus und Liturgie völlig auf den Kopf. In Saloniki, damals immerhin die größte jüdischen Gemeinde des osmanischen Reiches, feierte er eine Hochzeit mit einer Tora-Rolle. Ein anderes aufsehenerregendes Ereignis war die Feier von den drei Wallfahrtsfesten innerhalb einer Woche. 

Der Zohar hatte zwischen einer Tora der Schöpfung, die die Tora des Exils sei, und einer Tora der Emanation, einer Tora der geistigen Welt, die sich erst im messianischen Zeitalter offenbaren würde sollte, unterschieden. 

Die alten Kabbalisten sahen in ihnen keinen inhaltlichen Widerspruch. Sie verstanden darunter vielmehr eine endzeitliche neue Deutung, bzw. ein völliges Verständnis der Tora. 
Aber bei Sabbatai Zwi wurde aus dieser Idee in antinomistischer Weise ein Gegensatz. Bei extremen Anhängern sollten sich Gebote in Verbote wandeln und umgekehrt. Um diese schwindelerregenden Gedanken traditionell zu untermauern, zogen sie z. B. eine Passage im Achtzehngebet heran. Durch eine andere Lesart wurde dort aus Mattir Assurim (der die Gefangenen befreit) Mattir Issurim (der das Verbotene erlaubt). Sabbatai Zwi erklärte seine Vorgehensweise folgendermaßen. Seit 1648 hätte die Schechina begonnen sich aus dem Exil 
zu erheben. Dieser Prozeß sei nun beendet. Daher habe sich nun die Tora der Emanation, die Tora des messianischen Zeitalters, manifestiert. Viele Riten, wie die mitternächtlichen Trauergottesdienste um die Schechina sind dadurch überflüssig geworden. 

Sabbatai Zwis ruheloses Wanderleben endete 1662, als er sich in Jerusalem niederließ. Dort fiel er durch seine asketischen Übungen dem jungen Talmudstudenten und Kabbalisten Nathan von Gaza auf, der von den Anhängern Sabbatai Zwis später „Heilige Leuchte" genannt werden sollte. Nach einem intensiven Studium lurianischer Schriften begann Nathan Visionen, die er in einem Brief von 1667 beschrieb: 

„Während ich mich nun in Heiligkeit und Reinheit in einem besonderen Zimmer eingeschlossen und unter großem Weinen die Bußgebete des Morgengebets verrichtet hatte, kam der Geist über mich, meine Haare sträubten sich, meine Knie schlotterten, und ich schaute die Merkaba, und ich sah Visionen von Gott, den ganzen Tag über und während der ganzen Nacht, und wurde der wirklichen Prophetie gewürdigt wie irgendeiner der Propheten; die Stimme sprach zu mir und begann mit den Worten: 
So pricht der Herr. Und mit äußerster Klarheit prägte sich meinem Herzen ein, auf wen mich meine Prophetie bezog [das heißt auf Sabbatai Zwi] (...). Bis zum heutigen Tag hatte ich nie wieder eine so große Vision, sondern sie blieb in meinem Herzen verborgen, bis sich der Erlöser in Gaza selbst offenbarte und sich als den Messias verkündete; erst damals erlaubte mir der Engel zu verkündigen, was ich gesehen hatte." 

Sabbatai Zwi schien in der Zwischenzeit immer stärker zu fühlen, dass etwas mit ihm nicht ganz in Ordnung war. Er suchte Hilfe für seine seelischen Probleme. Durch einen Brief des Samuel Gandur erfuhr er, dass ausgerechnet Nathan anderen Menschen in geistigen Nöten helfen könne. Eine wirklich groteske Begegnung. Gershom Scholem geht soweit, von „Patient" und „Seelenarzt" zu sprechen. 

Doch der wahrscheinlich wirklich psychisch schwer kranke Sabbatai Zwi wurde von Nathan überzeugt, dass er der Messias sei. Dies sei der Grund für seine ungewöhnlichen Zustände. 
Nathan, der sich als der Prophet des Messias sah, initierte die messianische Bewegung. 
Nathan schrieb um 1665 ein pseudepigraphisches Traktat, das angeblich ein gewisser R.Abraham im Mittelalter verfaßt hätte. 

„Siehe, Mordechai Zwi wird im Jahr 5386 [1626] ein Sohn geboren werden, und er 
wird Sabbatai Zwi genannt werden. Er wird den großen Drachen bezwingen und die 
Kraft der bissigen Schlange und die Kraft der gekrümmten Schlange aufheben. Er 
wird der wahre Messias sein. (...) Sein Königreich wird ewig währen, und es gibt außer ihm keinen Erlöser für Israel."  

Sabbatai Zwis psychisches Auf und Ab wurde von Nathan in weiteren kabbalistischen Schriften in mythischen Bildern messianisch gedeutet, wie in seinem Drusch ha-Tanninim (Abhandlung über die Drachen) aus dem Sommer 1666. Beim Bruch der Gefäße sei die Seele des Messias ins Reich des Bösen hinab gestürzt. In dieser Welt der Schalen (hebr. Kelippot) lebt sie zusammen mit den Schlangen. Das Ringen des Messias mit den Schlangen versinnbildlicht die geistigen Kämpfe des Sabbatai Zwi während seines Wechsels zwischen 
Euphorie und Depression. Spätere Handlungen wie Sabbatai Zwis Apostasie werden mit Hilfe dieses Schemas für Nathan erklärbar. Die Messiasseele muss tief in die Welt der Schalen hinabsteigen und befremdliche Dinge tun. 

Lurianische Symbolik, traditionelle und volkstümliche Apokalyptik wurde von Nathan verwandelt, um seine messianische Lehre zu verbreiten und ihre positive Aufnahme zu sichern. Er, der „Prophet aus dem Heiligen Land", bestätigte durch seine Präsenz die Glaubwürdigkeit des Messias. Nathan rief zum Gebet und zur Umkehr auf. Der erste Höhepunkt der messianischen Bewegung sollte in Nathans Heimatstadt Gaza stattfinden. 

Am 17.Siwan (31. Mai) 1665 wurde Sabbatai Zwi in Gaza als Meschiach Elohei Jaacov (der Gesalbte des Gottes Jakobs) ausgerufen. 

R. Jakob Najara und die gesamte versammelte Gemeinde huldigte ihn. 

Er wählte 12 rabbinische Gelehrte als Repräsentanten der 12 Stämme aus. Natürlich veränderte er, der vermeintliche Messias, erneut Liturgie und Brauchtum. Die Mehrheit der Rabbiner Jerusalems lehnten ihn jedoch ab und bannten ihn im Sommer 1665. 

Bedingt durch die große Erlösungshoffnung der Juden verbreitete sich die Bewegung von Smyrna über Safed nach Damaskus und Aleppo. Die Messiassehnsucht führte in Städten wie Damaskus zu Massenhysterien. So konnte es vorkommen, dass sich fanatisierte Anhänger zu Boden warfen und Prophezeiungen stammelten. 

Zu all dem Aufruhr machten eine Fülle von märchenhaften Gerüchte die Runde. So hörte man von sagenhaften Eroberungen durch die wiedergekehrten verlorenen 10 Stämme. Zu all dem kam, dass man dachte, dass durch die Ankunft des Messias die Gebotserfüllung nur noch als „geistige Betrachtung" zu verstehen und die Möglichkeit einer praktischen Befolgung unmöglich geworden sei. 

So drehte Sabbati Zwi die Regeln der Halacha ganz wie es ihm gerade in den Sinn kam. Diese „gebotenen Übertretungen" galten als Zeichen der nun beginnenden messianischen Zeit. Er legte den Sabbat auf den Montag, rief Frauen zur Toralesung auf und aß öffentlich rituell verbotene Speisen. Außerdem teilte er die Welt unter seinen Brüdern Elia und Joseph auf. Er 
ernannte sie zum König der Türkei und Kaiser von Rom. Maßlose Überteibungen, die schriftlich und mündlich verbreitet wurden, wie die Behauptung, dass alle christlichen Kirchen in die Erde versunken seien, taten ihr übriges, um die Aufregung weiter zu entfachen. 

In einem Brief Nathans vom September 1665 erklärte er den ersten Teil der Veränderungen, die in den „verborgenen Welten" durch den Beginn der Erlösung stattgefunden hätten. Er kündigte Konsequenzen für die praktischen Anwendungen der kabbalistischen Lehren an. Im weiteren Verlauf des Briefes erzählte Nathan auch den Verlauf der Geschehnisse, bis die Erlösung erreicht sein wird: Sabbatai Zwi würde kampflos den türkischen Sultan entmachten. 
Nach fünf Jahren würde er zum schließlich zum legendären Fluß Sambatyon gehen und die 13jährige Tochter Rebekka des wieder erweckten Moses heiraten. 

Er zog immer mehr Menschen, Rabbiner, Gelehrte und einfache Juden in der ganzen Diaspora an. Viele verkauften ihre ganze Habe trotz kritischer Stimmen wie die des Hamburger Rabbiners Jakob Sasportas (1610-1698). 

So findet man in den Erinnerungen der Hamburger Jüdin Glückel von Hameln (1645-1724) folgende Beschreibung: 

„Manche haben Haus und Hof und alles Ihrige verkauft, da sie hofften, jeden Tag erlöst zu werden. Mein sei. Schwiegervater (...) hat sein Haus und seinen Hof und alle guten Hausgeräte (...) stehen lassen und seine Wohnung nach Hildesheim verlegt. Von dort hat er uns hierher nach Hamburg zwei große Fässer mit Leinenzeug geschickt; darin waren allerhand Speisen (...) und alles, was sich gut hält. Denn der alte Mann hat gedacht, man würde ohne weiteres von Hamburg nach dem Heiligen Lande fahren. 
Diese Fässer haben wohl länger als ein Jahr in meinem Hause gestanden. " 

Sabbatai Zwi kehrte nach einem Aufenthalt in Aleppo im September 1665 nach Smyrna zurück. Vor Jahren hatte man ihn als verrückten Kabbalisten aus der Stadt gejagt. Nun war er triumphal heimgekehrt. Er besetzte eine Synagoge, in der sich Gegner verschanzt hatten. Als man von ihm verlangte, er solle als Messias doch ein Wunder tun, gab er eine äußerst schlagkräftige Antwort. Das Wunder würde sein, dass sie ihn auch ohne ein Wunder als Messias huldigen würden. Das Wunder geschah wirklich. In diesem aufsehenerregden Tagen 
setzte Sabbatai Zwi sogar das endgültige Datum der Erlösung fest. Es sollte der 15. Siwan 5426 (18. Juni 1666) sein. Das Jahr 1666 war auch in christlich-chiliastischen Kreisen bedeutend: Nach einer Auslegung von Off 13 sollte 1666 entsprechend der dort genannten „Zahl des Tieres 666" das Erlösungsjahr mit der Wiederkehr Jesu sein. 

Die blühende Handelsstadt Smyrna verwandelte sich durch Sabbatai Zwi in ein tosendes Chaos. Das städtische Treiben versiegte und eine allgemeine euphorische Feststimmung breitete sich aus. Wilde Bankette lösten sich mit rituellen Kasteiungen ab. In der Nacht zogen Fackelzüge durch die Stadt und Menschen riefen aus: „Lang lebe Sabbatai Zwi! ". 

Sabbatai Zwi begab sich am 30. Dezember 1665 nach Konstantinopel. Dort wurde er im Verlaufe tumultartiger Entwicklungen von der osmanischen Gerichtsbarkeit, die jede Form von Revolten normalerweise schnell unterdrückte, verhaftet wurde. Am 19. April 1666 wurde er in die Festung Gallipoli überführt. Während seiner Haftzeit durfte er Besucher empfangen 
und durch seinen Sekretär Samuel Primo Briefe senden. 

Seine Gefangennahme wurde von seinen unzähligen Anhängern symbolisch gedeutet: 
Sabbatai Zwi wäre jetzt im Migdal 'Oz (fester Turm, in Anlehnung an Sprüche 18,10). 
Nathans Schrift Drusch ha-Tanninim, die ein paar Monate nach Sabbatai Zwis Überführung nach Gallipoli erschienen war, tat ihr übriges, um diese Gedanken zu untermauern. 

Der Sommer 1666 war der Höhepunkt der sabbatianischen Bewegung. Jeder erwartete große Ereignisse. Ein geradezu tragikomisches Ende begann durch die Gestalt eines polnischen Kabbalisten, Nehemia Kohen. Dieser verbrachte einige Tage bei Sabbatai Zwi, um sich von dessen Messianität zu überzeugen. Doch Nehemia kam zum Schluß, dass Sabbatai Zwi nicht den traditionellen Messiasvorstellungen entsprechen würde. Außerdem hielt er sich selbst für 
den Messias. Er zeigte Sabbatai Zwi bei den osmanischen Behörden wegen Anstiftung zum Aufruhr an. Er wurde am 16. September vor den Sultan in Adrianopel geführt. Dieser ließ ihm die Wahl zwischen Tod und Konversion zum Islam. 

Sabbatai Zwi wurde Moslem. Unter seinem neuen Namen, Aziz Mohammed Effendi, bekam er den Ehrentitel eines Kapici Bashi (Wächters der Palastpforten). 

Ende Jänner 1667 wurde die öffentliche Ausübung des sabbatianischen Kultes vom Rabbinat in Konstantinopel gebannt. 

Die Anhänger Sabbatai Zwis vor dessen Übertritt zum Islam sind keineswegs als 
„Sabbatianer" zu bezeichnen. Sie waren gläubige Juden, die ihre traditionellen Messiasvorstellungen durch Sabbatai Zwi bestätigt sahen. Sie wandten sich nach diesem skandalösen Finale wieder dem normativen Judentum zu. 

Anders verhält es sich mit den Anhängern Sabbatai Zwis, die auch darüber hinaus in ihm den Messias sahen. Sie, die Ma'aminim (Gläubige), fühlten sich als das „wahre Israel" im Gegensatz zu den traditionellen Juden. Diese wurden von den Sabbatianern als kofrim (Verneiner) bezeichnet. Der Übertritt wurde als ein notwendiger Schritt des Messias gesehen und auch von Nathan dementsprechend interpretiert. Die Messiasseele müsse tief in die Welt 
des Bösen hinabsteigen, um die göttlichen Funken zu erlösen. Daher müsse er völlig widersinnige Handlungen begehen. 

Nathan kehrte nie wieder nach Palästina zurück und starb nach einem ruhelosen Wanderleben 1680. 

Aus einer messianischen Volksbewegung wurden so geheime Gruppen, die mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln von den Instanzen der jüdischen Tradition verfolgt wurden. 
Wie konnte diese doch sehr antinomistische Bewegung so viele fromme Juden, Rabbiner und Gemeindeälteste in ihren Bann schlagen? 
Ein entscheidender Faktor ist die Tatsache, dass die Bewegung ihre Ideen unter dem Schutzmantel der lurianischen Kabbala entwickelt hatte. 

Als Sabbatai Zwi zehn Jahre nach seiner Konversion, am 17. 9. 1676, starb, war dies nicht das Ende der sabbatianischen Bewegung. Sabbatai Zwis Tod wurde z. B. als Verhüllung gesehen. 
Es entstand eine Legende über den Tod Sabbatai Zwis. Sie erzählt, dass Sabbatai Zwis Grab am dritten Tag nach dessen Tod von seinem Bruder Elia besucht wurde. Ein Drache hätte das Grab bewacht und es wäre leer gewesen, aber erfüllt von Licht. 
Nach der von den Sabbatainern adaptierten Seelenwanderungslehre wird sich seine Seele wieder als Messias verkörpern. 

Abraham Miguel Cardozo (1626-1706) war neben Nathan einer der bedeutendsten Theologen der sabbatianischen Bewegung. Cardozo lehrte, dass der Messias durch seine Berufung und die Sünden Israels zur Konversion und zu seltsamen Handlungen gezwungen sei. Seine Aufgabe sei es, die Welt des Bösen von innen her zu zerstören. Cardozo erläuterte die Notwendigkeit der Apostasie für den Messias. Aber er schränkte ein, dass dies Handeln nur für den Messias allein gelte, nicht für das Volk. 
Nach dem Ende Sabbatai Zwis erschütterten verschiedenste sabbatianische Affären die Länder und unterhöhlten die traditionelle Struktur der jüdischen Gemeinden: Gegen Cardozo, den sabbatianischen Prediger Nehemia Chayon (1655-ca.l730) und Moses Chajim Luzzatto (RaMCHaL; 1707-1746) verhängte man den Bann. 

Luzzatto traute man nicht zu, Offenbarungen durch einen „Magid" würdig zu sein und verdächtigte ihn des Sabbatianismus, da auch er sich als Messias wähnte. Eine Folge dieserKontroverse war die Verbrennung seiner Bücher.
Weite Kreise zog der Amulettenstreit von  Hamburg. Jakob Emden hatte den Oberrabbiner der Dreigemeinde Altona-Hamburg-Wandsbeck, Jonathan Eibeschütz (1690-1764), bezichtigt, ein Verfasser von Amuletten und ein geheimer Anhänger Sabbatai Zwis zu sein.  Die hohe Wogen schlagende Kontroverse 
um Eibeschütz spaltete die jüdischen Gemeinden in zwei Lager, ob nun der glänzende Talmudist und Prediger Eibeschütz nicht nur Amulette, sondern ebenfalls die sabbatianischen Schriften We-avo ha- Jörn el ha-Ajin (Und ich kam heute zur Quelle) und Sehern 'Olam 
(Name der Welt) verfaßt hätte. 

Heutige Forscher, wie Yehuda Liebes^ und Maurice-Ruben Hayoun^ vertreten die 
Meinung, dass Eibeschütz gewiß Sabbatianer gewesen ist. Offiziell belegte Eibeschütz 1755 als Oberrabbiner der Dreiergemeinde Altona-Hamburg-Wandsbeck die Sabbatianer mit einem Bann. Emden dagegen belegte Eibeschütz in seiner Privatsynagoge mit einem Bann, konnte aber dessen Absetzung als Oberrabiner nicht durchsetzen. Die antisabbatianischen Kämpfe setzten sich bis ins 19. Jahrhundert fort, wie der Bann gegen R. Nathan ben Simon Adler Katz 
(1 74 1-1800) 60 zeigt. 

Zwei Möglichkeiten besaßen die Anhänger Sabbatai Zwis nach dessen Apostasie: 

• Entweder konnten sie die Konversion als ein Mysterium sehen und weiterhin 
äußerlich das Leben orthodoxer Juden führen, aber dennoch im Herzen Sabbatianer bleiben. Diese „gemäßigten Sabbatianer" nannte man später „Schebslach" oder „Schoepsen". 

• Oder sie wurden „radikale Sabbatianer" und folgten Sabbatai Zwi nach, indem sie 
Moslems wurde. Eine Gruppe aus ca. 200 Familien entstand auf diese Weise in Adrianopel. (Edirne)


3.1.2 Dönme 

Nach Sabbatai Zwis Tod wurde aus dieser Gruppe, zunächst geführt von Jakob Philosoph, genannt Querido (der Geliebte), in Saloniki die sabbatianischen Dönme („Konvertierte"). 
Philosoph war der Bruder von Sabbatai Zwis letzter Frau Jochebed. Äußerlich lebten sie als Moslems. Im Verborgenen pflegten sie sabbatianische Riten und heirateten nur untereinander. 
Für die Dönme galt nur die oben besprochene „Tora des messianischen Zeitalters". 

So zelebrierten sie orgiastische Riten wie das „Fest des Lammes". 
Dies ist ein Frühlingsfest am 22. Adar. Nach dem Verzehr eines neugeborenen Lammes pflegen die anwesenden verheirateten Paare wechselweise Verkehr miteinander. Diese irdischen Vereinigungen sollen die kosmischen nicht nur symbolisieren, sondern auch vorantreiben. 

Andere Festtage sind mit dem Leben und der Konversion Sabbatai Zwis verbunden, wie das Feiern des Tischa be-Av als Geburtstag Sabbatai Zwis. 
Ir Glaube basierte auf den „18 Glaubensartikeln" (hebr. sedarim), die noch zu Lebzeiten Sabbatai Zwis verfaßt wurden. 
Die Zahl 18 erinnert an das jüdische (Achtzehngebet und entspricht nach der Gematria dem Wort chai (Leben). Außerdem ist sie die heiligste Zahl der Sufis, mit denen Sabbatai Zwi in Kontakt stand. Besonders der Orden der Bektashi-Derwische weist Parallelen zu den Dönme- Riten auf. Die Glaubensartikel beinhalten den Glauben an den Messias Sabbatai Zwi, das Gebot, nur untereinander zu heiraten und die sabbatianichen Feste zu halten. 

So lautet das zweite Gebot: 

„Sie sollen an seinen Messias glauben, der der wahre Erlöser ist. Es gibt keinen anderen Erlöser außer ihm, unserem Herrn, unserem König, Sabbatai Zwi, aus dem Samen des Hauses David, möge seine Majestät hoch erhaben sein. "

Durch einer von den Dönme veranstaltete Propaganda kam es 1683 zu einer 
Massenkonversion. 200 bis 300 jüdische Familien traten zum Islam über. Nach Carsten Niebuhr lebten um 1774 ca. 600 Dönme-Familien in Saloniki. 

Die Dönme zerfielen im Laufe der Zeit in drei Gruppen: 

• die „Izmirlis", sozusagen Anhänger der ersten Stunde, 

• die „Jakovim" und schließlich 

• die „Konyosos". Diese drei Gruppen entsprechen auch ihren sozialen Hintergründen. 
Das Oberhaupt der „Konyosos" war Baruchia Russo (ca. 1690-1740), nach der 
Konversion zum Islam Osman Baba genannt. In dessen radikaler Untergruppe, 
hauptsächlich getragen von Kleinhandwerkern und Arbeitern, entfalteten sich Lehren von antinomistischen und orgiastischen Praktiken. Die sonst bei den Dönme heftig umstrittene schlichte Umwandlung von Geboten in Verbote und umgekehrt, soll dort praktiziert worden sein. . Russo verstand sich als Reinkarnation der Seele von Sabbatai Zwi. Er schickte Emissäre nach Polen, Deutschland und Habsburg. 

In einem Reisebericht berichtet Karl Braun eine Geschichte über die Konyosos: 

„Die Konja sind arme Handwerker, Tagelöhner und Lastträger und leben in den 
höheren östlichen Stadtvierteln zerstreut. Vor einigen Jahren erschien ein junger 
Deunme vor dem Kadi in Salonik und erklärte, dass er Muhamedaner werden wollte, weil er dies nur dem Scheine nach sei; der Kadi schickte ihn zum Pascha und dieser entließ ihn mit der Weisung, sich noch einige Tage über sein Vorhaben zu bedenken, und wenn er dann noch darauf beharre, wieder zu kommen. Der junge Mann erschien nicht wieder, und die Sache wäre vergessen worden, wenn sich der Kadi ihrer nicht nach einigen Wochen zufällig wieder erinnert hätte; man stellte Nachforschungen an, und die Deunme behaupteten anfangs, der junge Mann habe die Stadt verlassen und sei auf Reisen gegangen. Als man aber die Paßregister nachschlug und seinen Namen nicht darin fand, gestanden die Deunme, dass er gestorben sei. Nun wurde die Leiche ausgegraben, und man behauptete, dass sie Spuren von Erdrosselung gezeigt habe; wie 
dem auch sei, die Deunme mussten die größten Anstrengungen machen, um die Sache beizulegen. " 

Diese höchst wunderliche Gemeinschaft verschwand aber nicht im Laufe der wechselvollen Jahrhunderte. 

Sie überlebte bis in unsere Tage. Nach Scholem lebten vor dem 1. Weltkrieg zwischen 10 und 15.000 Dönme in der Türkei. 

Nathan Peter Levinson beschreibt die aktuelle Situation: 

„Heute befolgt nur eine kleine Gruppe von ungefähr 3000 bis 4000 Dönmeh, 
Karakasch genannt, die traditionellen Vorschriften, auch bezüglich der Mischehen. 
Weitere 40 000 bis 60 000 Dönmeh haben heute nur noch vage Erinnerungen und 
beachten keine Riten oder Ehebegrenzungen mehr." 

Andere Berichte sprechen von 33.000 Dönme in der heutigen Türkei: 

„Ihr religiöser Kalender beinhalt konventionelle jüdische Feiertage, wie Rosch 
Haschana und Jörn Kippur, aber auch weniger orthodoxe, wie das Fest des Lichts. Bei diesem treffen sich verheiratete Paare in einem Privathaus, schlachten ein Lamm, singen Psalmen und tauschen dann die Partner. Sie glauben, dass aus diesen Vereinigungen eines Tages die Reinkarnation Sabbatai Zwis geboren wird. Ihre Gemeinde unterhält verschiedene geheime Synagogen, kabbalistischen Jeschiwot und einen religiösen Gerichtshof " 

1996 plante Ilgaz Zorlu mit einer Gruppe der Dönme nach Israel auszuwandern und zum Judentum zurückzukehren. 

Er sprach deswegen mit dem israelischen sephardischen Oberrabbiner, Eliahu Bakshi Doron. 
Dieser verlangte eine normale Konversion als Bedingung, worauf Zorlu nicht einging. 
„Viele hoffen auf das Jahr 2000, in dem große historische Veränderungen stattfinden sollen, vielleicht sogar die Rückkehr von Sabbaati Zwi."

 
3.2 Frankisten 


3.2.1 Jakob Leibowicz, genannt „Frank" 



Jakob Leibowicz, genannt „Frank" oder „Frenk" (1726-1791), verstand sich als Nachfolger von Sabbatai Zwi und Baruchia Russo. Bedingt durch den intensiven Austausch zwischen den Gruppen in Polen und den Dönme sowie durch die wandernden Prediger des Sabbatianismus wurde Jakob Frank bereits in seiner Jugend zum Sabbatianer, geprägt durch den Antinomismus der „Konyosos". 

Franks Lehrworte, wahrscheinlich ursprünglich in Jiddisch verfaßt, sind nur noch in polnischen Handschriften erhalten. 

An einem mystischen Ort, möglicherweise der Welt der Sefirot, begegnet Frank dem Sabbatai Zwi, den er den „Ersten" nennt. 

„Ich hatte in Saloniki eine Vision (...). Als ich in das erste Zimmer hineinging, gab man mir eine Rose als Zeichen, damit ich mit ihr in das zweite gehen konnte, und so immer weiter von einem zum anderen. Und so flog ich in die Luft. Und ich hatte zwei Jungfrauen, zu meiner linken und zur rechten und deren Schönheit die Welt nicht gesehen hat. In diesen Zimmern sah ich meist Frauen und Mädchen, aber in anderen waren ganze Versammlungen von Schülern und Lehrern. Und wo man mir nur das erste Wort sagte, begriff ich daraus den ganzen Inhalt und die ganze Erkenntnis. Diese Zimmer waren zahlreich. Im Letzen aber sah ich den 'Ersten', der auch als Lehrer mit seinen Schülern saß und er war mit einem frenkischen Gewand bekleidet. Dieser fragte mich sofort: 'Bist Du der weise Jakob? Ich hörte, dass Du stark und mutigen 
Herzens bist. Bis zu diesem Punkt bin ich gegangen, aber von hier aus habe ich keine Macht, weiter fortzuschreiten. Wenn Du willst, stärke Dich und Gott möge Dir helfen. 
Denn sehr viele Vorfahren haben diese Last auf sich genommen und sind diesen Weg gegangen, aber sie sind gefallen.' In diesem Moment zeigte er mir durch das Fenster dieses Zimmers einen Abgrund, verdeckt durch ungewöhnliche Schwärze. Und über dem Abgrund sah ich auf der anderen Seite einen Berg, dessen Höhe selbst die Wolken zu berühren schien. In diesem Moment rief ich: 'Um jeden Preis werde ich mit Gottes Hilfe gehen.' Und dann begann ich schräg in der Luft hinab in den Abgrund zu steigen, bis ich den Grund erreichte. " 

Die zahlreichen Zimmer könnte man als Symbol für die Sefirot oder für die Hechalot sehen. 
Wie Frank hinabsteigt, so steigen auch die Hechalot-Mystiker zur Merkawa hinab. Um an den Dienstengeln vorbeizukommen, benützen diese magische Siegel, Frank eine Rose. Das erste Zimmer kann nur die Schechina sein, da sie in kabbalistischen Schriften als Pforte in die göttliche Welt beschrieben wird.  

Die zwei Jungfrauen, die Frank begleiten, könnten Symbole für die obere und untere Schechina^ sein. 
Frank sieht die himmlischen Lehrhäuser und erfährt jene magische Erkenntnis, die bereits in der Hechalot-Mystik beschrieben wird: ohne Mühen und Schweiß die Geheimnisse der Tora sofort zu verstehen.
Schließlich trifft Frank auf Sabbatai Zwi. Dieser erklärt ihm seine Machtlosigkeit und die Gefahren des Weges, auf dem so viele Vorfahren schon gescheitert sind. Wohin führt dieser Weg? Er führt zur „anderen Seite", die Gegenwelt der Sefirot. Das weist auf die Theoretiker der sabbatianischen Kabbala, wie Cardozo, aber auch auf die Dönme hin. Sie hatten versucht 
die paradoxe messianische Lehre Sabbatai Zwis zu verstehen. Die Bestätigung der messianischen Tora sei das Gegenteil der Tora des Exils. Folglich muss man, wie Sabbatai Zwi, in die Welt der Schalen hinabsteigen. War es das Ziel der alten Kabbalisten, in die Welt der Sefirot aufzusteigen, so kann jetzt nur die Aufgabe heißen, sich zur „anderen Seite", zur Welt des Bösen, auf den Weg zu machen. 

Das Symbol der frankistischen Lehre ist ein „V": Zunächst führt der Weg steil nach unten in den Abgrund, in die Schwärze und Tiefe der dämonischen Gegenwelt. Dann aber soll er endlos hinauf zum Leben führen. 

Aufgrund von Visionen präsentierte sich Frank als „Auserwählter". Er tritt allerdings nicht in die messianische Reinkarnationskette ein, die vom „Ersten" und „Zweiten" (Russo) konsequenterweise zu einem „Dritten" übergeht. Denn dieser „Dritte" sieht sich als Vollender der Aufgabe, an der sich bereits u.a. die Patriarchen, Moses, Sabbatai Zwi und Baruchia Russo versucht hatten.
Dabei identifiziert sich Frank hauptsächlich mit Jakob, versteht sich 
aber nicht als dessen Reinkarnation. So wie Jakob auf Abraham und Isaak gefolgt ist, so folgte Frank auf Sabbatai Zwi und Baruchia. Aber der „wahre Jakob" ist nicht der Messias ben David. Er geht dem wahren Messias, der „Jungfrau", als Wegbereiter voran und übernimmt gewissermaßen die traditionelle Rolle des Messias ben Josef. 

Frank trat während seines Aufenthalts bei den Dönme nicht zum Islam über. Seine teils schockierenden Handlungen in Saloniki führten zum Konflikt mit jenen, die in Frieden, ohne Zusammenstöße mit der jüdischen Gemeinde und geduldet von der osmanischen Herrschaft, leben wollten. 
Er provozierte die Juden Salonikis und riskierte den Aufruhr. Es ist unklar, ob eine eventuell von Frank geplante Machtübernahme schlicht scheiterte. 

Vielleicht wurde er von den Dönme rasch abgeschoben und/oder als Dönme-Botschafter nach Polen geschickt. Als er von den türkischen Juden verfolgt wurde, konnte er jedenfalls mit keinerlei Unterstützung von Seiten der „Konyosos" rechnen. Später, als er von den polnischen Rabbinern verfolgt wurde, wird er durch die Konversion zum Islam erneut im osmanischen Reich sein Glück versuchen. 
Der Kontakt zwischen Dönme und Frankisten blieb auch über den Tod von Frank hinaus bestehen. So berichtete ein Dönme 1920 in Wien über Beziehungen zu bestimmten „Katholiken" in Warschau. 

Frank wurde das Oberhaupt einer sabbatianischen „Kompanie", den „Zohariten" in Polen. Im Kampf um ein eigenes Reich für ihre Gruppe gerieten sie zwischen die Mühlen des polnischen Rabbinats und der katholischen Kirche Polens. Das podolische Rabbinat hatte die Frankisten aus den Gemeinden verbannt und sie 1756 für „vogelfrei" erklärt. 

„Möge man sie aus der jüdischen Gemeinschaft ausschließen, mögen ihre Frauen und Töchter als Huren, ihre Kinder als Bastarde gelten, damit sie sich nicht mit uns ermischen können." '^ 

Der Text des Bannes, den der Lemberger Rabbiner Chaim Rappaport mit 13 anderen 
Rabbinern unterzeichnet hat, wurde unter dem Titel „ Cherev pifioth " (Scharfes Schwert) ubliziert.^ Unter dieses scharfe Schwert fiel auch die Kabbala. Da man die mißverstandene Kabbala als Quelle für den Sabbatianismus ansah, wurde angeordnet, den Zohar erst ab dem 30. und die lurianische Kabbala erst ab dem 40. Lebensjahr studieren zu dürfen. 

Die Frankisten versuchten Hilfe durch die polnische Kirche zu bekommen und wollten als geschlossene Gruppe zum Christentum konvertieren. 

Bischof Dembowski war damit einverstanden, aber nur unter der Voraussetzung einer offiziellen Disputation zwischen Frankisten und Rabbinat, um noch andere Juden von der Richtigkeit der Konversion zum Christentum zu überzeugen. Diese Disputationen fanden 1757 und 1759 statt, wobei die Frankisten auch nicht vor der Ritualmordlüge Halt machten. 
Aus der Not der Stunde heraus sah Frank nur noch in einer Scheinkonversion im Sinne der Dönme die letzte Möglichkeit, weiter bestehen zu können. Das taktische Ziel waren Schutzbrief und Ansiedlungsmöglichkeit. Zunächst sollten nur er und sein engster Kreis konvertieren. Dies entsprach der sabbatianischen Lehre, dass antinomistische und „befremdliche" Taten nur der Messias vollziehen muss. Die Taufe als Notwendigkeit innerhalb der frankistischen Lehre wurde erst später, als es nicht mehr anders möglich war, aufgenommen. 

Dennoch vollzogen viele Frankisten schon jetzt die Taufe, Frank selbst 1759 in Warschau. 
1760 wurde er unter Anklage des Scheinchristentums verhaftet und zu lebenslanger Festungshaft in Czenstochau verurteilt. Nach der ersten polnischen Teilung 1772 wurde Frank von den Russen befreit. 

Es ist unklar wann genau Frank in Offenbach angekommen ist. Nach der „Chronik" war es am 3. März 1787. Eine Ausweisung von dem Haus Habsburg ist durch Dokumente nicht belegt. 

Warum gerade Offenbach a. M.? 

Der regierende Fürst Wolfgang Ernst von Ysenburg war bekannt, eine offenes Herz für „religiöse Schwärmer" zu haben. Unter den protestantischen Ysenburgern war Frank vor der katholischen Inquisition geschützt. Daneben war Fürst Wolfgang Freimaurer. Wie bunt das Offenbacher Klima war, zeigt auch die Figur des ersten katholischen Pfarrers von Offenbach, Birkenfeld. Er schloß sich dem Illuminatenorden an und gründete 1812 die Offenbacher Freimaurerloge.  

Laut Trautenberger war Frank mit der Frau des Olmützer Festungskommandanten, Baron Bender, befreundet, die eine geborene Gräfin Ysenburg und ebenfalls Freimaurerin war. Baron Bender war im Juli 1785 nach Laxenburg versetzt worden.
Es ist aus den Quellen nicht ersichtlich, ob der „Baron von Frank", wie er sich nun nannte, das Ysenburgische Renaissance-Schloß am Mainufer mietete oder kaufte. 
Dort residierte Frank zurückgezogen als eine Art unabhängiger Souverän in seinen letzten Lebensjahren. Hier wurden vermutlich die „Worte des Herrn" beendet. Seine fürstliche Hofhaltung in der Offenbacher „Berseba" wurden offensichtlich wiederum von der Warschauer und Prager Kompanie bezahlt. Die genauen Quellen der Finanzierung sind noch ungeklärt. Symptomatisch für die phantastischen Beschreibungen von Franks Hof in den 
zahlreichen Blättern jener Tage, ist die Beschreibung des Einzuges Franks. Es ist natürlich möglich, dass es sich so tatsächlich abgespielt hat, da Frank äußerlichen Pomp, Aufwand und sabbatianisch-grüne Uniformen sehr schätzte. 

Selbst in der Öffentlichkeit war bekannt, dass die Warschauer Anhänger Franks ihn immer noch finanziell unterstützen. Dieser lebte als „Baron von Frank" und keinerlei Verfolgungen sind für seine letzten Offenbacher Jahre bekannt. Auch wenn in den Zeitungsartikeln der Frankfurter Blätter jener Zeit viele Spekulationen verbreitet wurden, wer Frank und Eva waren, so war die jüdische Gemeinde in Offenbach über ihre wahre Identität unterrichtet. 
Daneben hat sich Frank offenbar von der offenen Missionstätigkeit unter den Juden zurückgezogen. Nach dem Offenbacher Memorbuch bestand kein Kontakt zwischen Frankisten und jüdischer Gemeinde.  
Ebenso wußte die hessische Obrigkeit sehr gut über Frank Bescheid. 1791 beauftragte der hessische Landgraf den Kreistagsgesandten, den Geheimen Rat von Barckhaus-Wiesenhütten, mit Erkundigungen über das Treiben der Frankisten in Offenbach. 
„Der Aufenthalt eines fremden und unbekannten Menschen zu Offenbach, dessen 
Namen selbst, man nur mutmaslich weis, der ungemein große Aufwand, den er führt, und alle das Sonderbare und Geheimnisvolle, was ihn umgibt, haben die Neugierde des Publizi sehr lange erregt. Da dieser Mensch nun sogar bewaffnete Leute um sich versamlet, sofort dieses die Aufmerksamkeit des Herrn Kurfürsten zu Mainz und die Unsrige, erregen müsten." 

Der Geheime Rat antwortete mit einer ausführlichen Brief, in dem er Frank als Ausläufer der Bewegung um Sabbatai Zwi bezeichnet. 

„Die gegenwärtig in Offenbach wohnenden Pohlen sind Mitglieder dieser Gemeinde,und sie ist in Pohlen und (...) in Mähren ziemlich zahlreich. Nach ihrer Meinung sind die Mosaischen Gesetze zwar nicht ganz aufgehoben, haben aber doch die Heiligkeit und Verbindlichkeit, die ihnen die übrigen Juden beilegen, nicht mehr."
Und über den „Baron von Frank" berichtete er: 
„Der Nähme Franck ist nicht sein eigener Familien Nähme, sondern der allgemeine Nähme, womit die polnischen Juden ihre türkischen Mitbrüder benennen; Sein eigentlicher Name ist mir unbekannt. 
All die phantastischen Erzählungen und Beschreibungen über den Offenbacher Hof, wie sie vor allem die „Gartenlaube", Schenck-Rinck, Quelle und andere Schreiber verbreitet haben, sind eher Produkte der Romantik und Schauerromantik. Hier sind bereits die Titel Programm: 
„Ein geheimnißvoller Glaubensfürst", „Zwei fürstliche Geheimnisse neuerer Zeit", „Die mmerwährende Maskerade" oder „Der Prophet von Offenbach". ° 

In einer stillen Stunde am winterlichen Kamin haben sie sicher immer noch ihren Reiz, auch wenn die zuweilen vorkommenden antijudaistischen Tendenzen abgeschmackt sind. So versuchte Schenck-Rinck Eva von ihrer jüdischen Herkunft zu lösen: 
„Weder die Familie, noch insonderheit Fräulein Eva von Franck ließ in ihrer 
Persönlichkeit, Auftreten und Benehmen nicht im Entferntesten eine jüdische Abkunft vermuthen, ihr ganzes Auftreten war das einer geborenen Fürstin. " 

Auch in zeitgenössischen Autobiographien finden sich, wie z. B. bei Karl Cäsar von Leonhard, Erinnerungen an Frank, worin ebenso Phantasie mit authentischem Material verwoben wurde: 

„Schabbathaische Juden, Geschenke bringend, wallfahrten in Menge aus dem Osten 
nach Offenbach; die Stadt gewann durch solche Besuche und durch vorübergehende 
Niederlassungen. Das Ereignis machte tiefen Eindruck, von Mund zu Mund pflanzte sich die Kunde fort. Wenige Tage gingen vorüber, ohne dass mein Vater nicht Briefe erhielt von Offenbacher Befreundeten; einzelne Wahrnehmungen, Bemerkungen, Vermuthungen wurden mitgetheilt; von Allem wußte Niemand Rechenschaft zu geben"  
Die Zahl der Anhänger, die sich im Schloß und in der näheren Umgebung angesiedelt hatten, dürfte nach neueren Erforschungen, zu Höchstzeiten nicht mehr als ca. 400 betragen haben.  
Die oft übertriebenen Zahlen in der Sekundärliteratur gehen auf einen Brief des Fürsten Wolfgang Ernst von Ysenburg an seinen Sohn Karl vom 14.3. 1792 zurück: „Bey 800 Polen sind hier wohnhaft."

Dies hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass zahlreiche Anhänger eigens für Franks Beerdigung angereist waren, der am 10. 12. 1791 an einem Schlaganfall verstorben war. 
„12. Dezember 1791, Montags: Frank, von, H. Baron Jac. Jos. Haupt der hiesigen 
Polen, stirbt den 10. Morgens früh zwisch. 4. und 5, an einem Schlagfluß, alt etliche Jahre über 70. (Anm. begraben) um 4 Uhr Nachmittags, mit Geläut, nach Erlaubniss des Herrn Geh. Raths Nollenbeckß. Die Lutheraner haben auch geläutet und die Leiche mit Musik begleitet. 
Beer berichtet anhand von Zeitzeugenberichten über die Beerdigung Franks. Dieser Bericht wird in ähnlichen Worten auch bei LeonhardO, in zeitgenössischen Blättern oder späteren Beschreibungen der Frankisten wiederholt nacherzählt: 

„Alle seine damals in Offenbach anwesende Anhänger, deren Zahl zu eben dieser Zeit über 800 war, begleiteten die Leiche. Voran gingen die Weibspersonen, sowohl verheirathete als ledige, deren Anzahl ungefähr 200 war. Alle waren weiß gekleidet,die Haare mit weißem Band durchgeflochten, und hielten brennende Wachskerzen in der Hand. Nach ihnen kam die Leiche im offenen Sarge, getragen von seiner Dienerschaft, und eingehüllt in einen rothen seidenen, mit Hermelin gefütterten Talar, den er bei Lebzeiten gewöhnlich zu tragen pflegte. Zunächst dem Sarge folgten seine drei Kinder, dann die Dienerschaft nebst seiner siebenzig Mann starken Leibgarde, und den Beschluß machten, die übrigen Mannspersonen. Diese hatten eben so, wie die Weiber, brennende Fackeln in den Händen, ihre Haare waren mit einem weißen Bande gebunden, und ihre Arme mit weißem Flor umwunden. So ging der Zug durch Offenbach nach dem allgemeinen Begräbnißplatz hin. Man setzte die Leiche hier ab, deckte den Deckel auf den Sarg, der ganz mit weißem Atlas überzogen, und mit goldenen Fransen, Quasten und anderen Zierrathen versehen war. Um ihn in die Gruft 
zu lassen, gebrauchte man statt der Stricke weißes Tuch, womit der Sarg noch 
bekleidet wurde. Nun fing die ganze aus 800 Personen, Männer, Weiber und Kinder - denn auch diese wurden auf den Armen der Mütter der Leiche nachgetragen - auf einmal ein Jammergeschrei an, dass die Luft erbebte, und unzählige Thränen entströmten allen Augen. " 

Die weitere Geschehnisse rund um Eva, ihre aus Warschau zurückgekehrten Brüder Rochus und Josef und den Frankistenhof in Offenbach werden durch verschiedene Dokumente aus den dortigen Archiven, zahlreiche Zeitungsberichte und zeitgenössische Erinnerungen, sowie ausufernde Spekulationen über die „wahre Identität Evas" dokumentiert. 

Auch die Erinnerungen eines Moses Porges, der 1781 in Prag geboren wurde, sind erst bei einer Bearbeitung dieser Periode auszuwerten, da sie zur Geschichte der Prager und Warschauer „Kompanie" gehören. Die Handschrift, in der Evas Träume und Visionen aufgezeichnet wurden, ist verloren. 

Für eine ausführliche Studie zu Leben und Lehre von Eva Frank, die angeblich am 7.9. 1816 in Offenbach gestorben ist, und den Frankisten im 19. Jahrhundert sind weitere Forschungen unentbehrlich. 

„Wundert Euch nicht, wenn Ihr in regnerischer September- oder stürmischer 
Decembernacht die wankenden Gestalten auf dem ehemaligen Kirchhofe Offenbachs 
erblickt, das Haupt entblößt, das Knie gebeugt, die Seele in tiefer Andacht versunken - sie feiern die Tage, an denen der 'heilige Vater', 'die heilige Mutter' sich 'unsichtbar gemacht', und beten kniend an den Gräbern von Jakob und Eva Franke. " 

Seine Lehre ist eine anarchistische Utopie von der erlösenden Kraft der Zerstörung, die durch den Weg in den Abgrund zum Leben führen soll. 

Vor dem Hintergrund der Krise der jüdischen Tradition im untergehenden Polen des 18. Jahrhunderts entstand eine sabbatianisch-kabbalistische Lehre im Geiste der Gnosis („Erkennen"), wobei sufistische als auch chassidische Einflüsse nachweisbar sind. 

Aufgrund der sozialen und ökonomischen desaströsen Verhältnisse der polnischen Judenheit kommt Frank zu dem Schluß wie viele Gnostiker vor ihm: Das Leid der Menschen ist fürchterlich, die Welt absolut böse und kann daher nicht die Schöpfung eines guten Gottes sein.  Franks spirituelles Ziel war die kabbalistische Welt des Da'at. Seine Lehre beruht auf der sabbatianischen Trinität, den „drei Bändern oder Knöpfen des Glaubens", die bei ihm 
„heiliger König", „großer Bruder" und „Jungfrau" heißen. 

Aber anders als in den komplexen, nur schwer einsichtigen Schriften von Nathan aus Gaza oder Abraham Cardozo bedient sich Frank einer äußerst einfachen, ja geradezu volkstümlichen Sprache. 

Zur Unterstützung zieht er dabei hauptsächlich Zitate aus dem Pentateuch und dem Zohar sowie volkstümliche Geschichten aus der Kultur der Umgebung heran, die wortwörtlich zitiert bzw. paraphrasiert oder an die eigene Lehre angepaßt wurden. So wie die Chassidim die Worte eines BeSchT oder Nachman sammelten und aufzeichneten, so stellten Franks „Brüder" die Worte ihres „Herrn" zusammen. 

Die Welt ist für Frank die Schöpfung des Bösen, der wahre Gott ist absolut verborgen. Nur die Gläubigen können in seine Welten vordringen. Zwischen diesem guten Gott und den Menschen stehen die bösen drei Weltenlenker. Alle Gesetze, Regeln, Verordnungen unserer Welt sind Gesetze des Todes, die den Menschen abhalten, zum guten Gott zu gelangen. Daher muss man alle Gesetze der Welt aufheben, um zum Leben zu kommen. 

Franks Weg ist gepaart mit der Vorstellung von der militärischen Disziplin, die ihn paradoxerweise begleitet. Der Soldat, der seinem General blindlings gehorcht und keine Befehle diskutiert, wurde von Frank idealisiert. 

Franks Ziel war der Weg zum großen Bruder Esau, einem mystischen Esau, der sich an einem Ort vor Gott befindet, einem Ort, wo es keine Gesetze gibt, nur das Leben. Der Frankist kann alle Gewänder der Welt scheinbar annehmen. So führt ihn sein Weg durch die Religion Edoms (gemeint ist der Katholizismus). 

Mittelpunkt der frankistischen Lehre ist der neue Entwurf der Schechina. Frank bezeichnete sie als Jungfrau und verbot, den Begriff Schechina zu erwähnen.  Nach Frank hatten sich bereits alle bedeutenden Vorväter, wie Abraham, Isaak, Jakob und Moses, um die Jungfrau bemüht, die sich in verschiedenen Personen, wie in Rahel, manifestiert hat. Frank behauptet, dass Sabbatai Zwi und David in Wirklichkeit weiblichen Geschlechtes gewesen seien. Da in ihnen die Messiasseele war, bedeutet dies, dass auch sie Verkörperungen der 
Schechina gewesen sind? Frank verneint dies. Sie wollten sie, die Schechina, führen. Doch sie scheiterten, genau wie alle anderen Vorväter. Moses Befreiung aus Ägypten konnte ebenso nicht vollständig sein, da das Fundament der Erlösung die Jungfrau sei. 
Sabbatai Zwis Weiblichkeit wäre geheim gewesen, daher konnte er nichts erreichen. Aber jetzt würde es durch die Jungfrau einen für alle Leute sichtbaren weiblichen Messias geben. 
Sabbatai Zwi hätte wie König David nur den Weg zu ihr gezeigt. Aber keiner hatte die Sache zu Ende geführt. 

„Ihr dachtet, dass der Messias ein Mann sein wird. Aber das kann auf keine Weise sein, weil das Fundament die Jungfrau ist. Sie wird der wahre Messias sein, sie wird alle Welten führen, weil alle Waffen in ihren Händen sind.""" 

In der Beschreibung der Jungfrau zieht Frank Elemente aus den Esthererzählungen heran. 
Stark beeinflußte ihn der Marienkult um die „Schwarze Madonna" des Klosters von Cz^stochowa. Die „Schwarze Madonna" führe zur anderen „Jungfrau", zur Schechina. Die Taufe wird hierbei als notwendige Stufe gesehen. In Anlehnung an Bahir und Zohar, wo beschrieben wird, dass die Schechina wie eine Prinzessin in einem Turm ist, beschreibt Frank einen tatsächlichen Turm des Klosters. Noch im Kloster hat er in Anlehnung an die Marienverehrung kleine Porträts von Eva anfertigen lassen, die sich heute in der National Library in Jerusalem befinden. Eva als Verkörperung der Schechina war allerdings ein Element, das zu Franks Lebzeiten nicht in Erscheinung trat. Die Jungfrau war für Frank noch verborgen und seine Aufgabe war die, sie zu befreien. Die „Schwarze Madonna" weist auf die wahre Jungfrau hin, deren Manifestation 
der endgültigen Erlösung vorangeht. 

„Gehen die Könige und Herren zum Porträt der Jungfrau in Czenstochau nicht mit 
großer Demut? Sie sind klüger als ihr, weil sie wissen, dass alle Macht bei ihr ist und in ihrer Hand. So wie man sagte, dass Christus auferstanden ist, so wird auch sie sich aus der Erde erheben und vor ihr werden alle Königreiche dienen."  

Natürlich stehen dabei die Anhänger Franks unter der Massa duma (Last des Schweigens) - sie schweigen über ihren eigentlichen Glauben. 

Aber nicht alle Frankisten sind diesen Weg konsequent bis zum Ende gegangen. Spätere Anhänger Franks standen zwar nach außen noch in der Tradition, hatten aber innerlich bereits einen absoluten Bruch mit ihr vollzogen und in ihren Vorstellungen eine radikale Aufklärung mit mystischen Akzenten verbunden. 

Da Frank in seinem Kampf gegen das rabbinische Judentum nicht vor Ritualmordlüge und Taufe Halt gemacht hatte, blieb er eine äußerst umstrittene Gestalt. 

Seine kabbalistischen Lehren wurden wenig beachtet.  So schrieb sein früher Biograph Alexander Kraushar: 

„Ungeordnet aus Fetzen der christlichen Dogmen und Zoharbegriffen, vereinigt mit fremdartigen okkulten Prinzipien, bringen sie ein Chaos der wertlosen Klänge hervor, die den Kopf des Hörers mit dem Strom der hebräischen, griechischen, babylonischen und den aus der weißen Magie entlehnten Worten, schwindlig machen, damit unter dem Druck einer solchen Mischung sein Wille schwindet und er sich blind den Befehlen der Ausleger ergibt."  
Es geht nicht an, als Chronist der jüdischen Philosophie- und Geistesgeschichte, allein die Lehren eines Maimonides, eines Mendelssohns oder eines Moses Cordovero zu betrachten. 
Und nur weil Franks Biographie so erschreckend ist, dürfen dann seine kabbalistischen Lehren nicht salonfähig sein? Muss man sie als „haltloses Gestammel" herabwürdigen, um eine Nichtauseinandersetzung zu legitimieren? 

Die Geschichte der frankistischen Gruppen im 19. und 20. Jahrhundert, wie das langsame Aufgehen der Frankisten in der polnischen Gesellschaft, sowie überhaupt die Erforschung der 
Kabbala in Deutschland und Österreich zur Zeit des Barocks und der Romantik sind noch nicht weit gediehen. 

Einige der vieldeutigen Mystiker, wie z. B. Ephraim Joseph Hirschfeld, stehen in einer gewissen Abhängigkeit oder auch Abgrenzung zum Frankistenhof in Offenbach. 



3.2.2 Ephraim Joseph Hirschfeld 


In den letzten Jahren erfuhr die lange vernachlässigte Rezeption der Kabbala in der frühen 
Neuzeit ein starkes Interesse. 

Dennoch sind zwei der faszinierendsten Figuren jener Epoche noch nicht erschöpfend erforscht worden, 

• Ephraim Joseph Hirschfeld (ca. 1758 in Karlsruhe geboren - 27.1. 1820 in Offenbach verstorben) und 

• Moses Dobruska (Brunn 12.7.1753 - Paris 5. April 1794). 

Leon Ruzieka (1866-1931) hatte intensiv die Familiengeschichte der Dobruskas studiert. 
Ursprünglich plante er eine Studie zu Moses Dobruska, die er unter dem Titel "Vom Ghetto zur Guillotine. Moses Dobruschka - Franz Thomas von Schönfeld - Junius Frey. Ein Lebensbild aus der theresianischen, josephinischen und der französischen Revolutionszeit" verfassen wollte. 
Teile dieser geplanten Studie sind im Nachlaß, der im Wiener Stadtarchiv 
ruht, erhalten, sowie umfangreiche Abschriften aus Archiven. Aus diesen über 1000 Seiten umfassenden Vorarbeiten ist nur ein kurzer Artikel in der Zeitschrift „Jüdisches Archiv" entstanden, da Ruzieka vor Vollendung der geplanten Arbeit starb. 

Allerdings war Ruzieka laut Joseph Karniel ein „wenig systematisch arbeitender Amateurhistoriker, dessen Emsigkeit zwar lobenswert ist und dessen Fleiß mir viel Mühe ersparte, dessen Angaben aber oft ungenau sind. Ich versuchte, sein Material einigermaßen zu ordnen, um zumindest einen Teil seiner 
Lebensarbeit der wissenschaftlichen Öffentlichkeit bekanntzugeben. Trotz aller 
Anstrengungen gelang es mir nicht, alles zu überprüfen, da ein Teil der Quellen, auf die Ruzieka sich stützte, Bränden zum Opfer fiel oder nicht greifbar war."
Bislang ist zu Hirschfeld spannender Biographie und Werk keine Einzelstudie erschienen, nur 
einige Artikel. Gershom Scholem hatte sich 1962 als erster Hirschfeld gewidmet und nannte ihn zurecht „einen verschollenen jüdischer Mystiker der Aufklärungszeit". Kurz danach untersuchte Jacob Katz in zwei Studien Hirschfelds Beziehungen zu Moses Mendelssohn und seine freimauerische Aktiviäten. 

Wiederum Scholem erwähnte noch einige Details zu Hirschfeld in einem Buch zu Moses Dobruska, der zu Hirschfeld eine enge Beziehung hatte. 

In dieser Studie zeichnet Scholem Dobruskas abenteuerliches Leben - vom Frankisten zum österreichischen Dichter und Freimaurer - nach. Da Scholem kurz nach der Veröffentlichung dieses Werkes starb, konnte er sein geplantes Buch zu Hirschfeld nicht mehr schreiben. 
Er und Jacob Katz hatten nur Teile des Materials zu Hirschfeld und Dobruska ausgewertet und veröffentlicht, das sie in Archiven gesehen, bzw. bereits kopiert hatten. Daher steht eine gründliche Analyse von Hirschfelds Werk und seiner Beziehungen zum Hof der Frankisten in Offenbach noch aus. 

Viele Dokumente zu Hirschfeld lagern in den Bibliotheken der Grossloge der Freimaurer in Den Haag und Kopenhagen, der Klossischen Handschriftensammlung der Haager Bibliothek und dem Scholem-Archiv der Nationalbibliothek in Jerusalem. 
Auch zu Dobruska gibt es neben seinen kaum betrachteten literarischen Werk noch zahlreiches unveröffentlichtes Material, das ebenfalls nicht berücksichtigt wurde. 
Nach diesen wertvollen Vorarbeiten drohte Hirschfeld wieder der Vergessenheit anheimzufallen und Dobruska tauchte zuweilen in Studien zum Frankismus auf. Erst Christoph Schulte und Andreas Kilcher befaßten sich im Zusammenhang ihrer Studien zur Kabbalarezeption in der Romantik wiederum mit Hirschfeld. 

Ephraim Joseph Hirschfeld, ein jüdischer Kabbaiist und aktiver Freimaurer, ist einer jener Gestalten des ausgehenden 18. Jahrhunderts, in dessen Werk zugleich philosophische Spuren von Kant und kabbalistische 
Elemente eines Isaak Luria zu finden sind. Durch ihn aber können wir auch sehen, wie sabbatianisch-frankistisches Gedankengut, also Lehren jener aufsehenerregenden messianischen Bewegungen des 17. und 18. Jahrhunderts, in den Köpfen einiger Denker jener Zeit zum Umbruch von Tradition zur Moderne hin führte. 
Die Bedeutung dieser vom normativen Judentum ja als häretisch verbannten Lehren Sabbatai Zwis und Jakob Franks bei denjenigen, die dem Sabbatianismus und Frankismus nahestanden, aber nicht zum Islam oder Christentum konvertiert sind, ist bis auf Scholems Studien zum Prager Frankismus so gut wie unerforscht. 
Hirschfelds Leben und Werk ist in Verbindung mit den Prager Frankisten-Familien wie Wehle, Bondi, Hoenig oder Porges zu sehen. Auch sie verblieben im Judentum und haben in 
ihren Schriften sogar eindeutig aufklärerische Tendenzen, wie man in der von Nathan M. 
Gelber veröffentlichten Autobiographie von Moses Porges nachlesen kann. 109 

Eigentlich hieß der Sohn des talmudisch und kabbalistisch gebildeten Kantors Joseph 
Hirschel Darmstadt aus Karlsruhe Ephraim Joseph Hirschel. 

Der Familienname läßt aufhorchen. Die Mutter Jakob Franks hieß Rachel Hirschl aus 
Rszeszöw. Seine Cousine war die berühmte Schöndl Hirschel, später Dobruska (Breslau 
1735-Wien 17.5.1791) aus Brunn, deren Sohn Moses Hirschfelds Leben stark prägen sollte. 
Bereits Joseph Hirschel suchte den Kontakt mit NichtJuden in wichtigen Positionen. So 
widmete er 1770 eine yiddische Übersetzung eines Torakommentars des Moses Alscheich 
dem Markgrafen Karl Friedrich von Baden. Goethes Schwager, Johann Georg Schlosser, war 
Oberamtmann im Dienst des Markgrafen. Er war sehr interessiert an aufgeklärten jüdischen 
Erziehungsmethoden und setzte sich für den talentierten jungen Ephraim Joseph ein. Er sorgte 
dafür, dass Hirschfeld ab 1773 das Karlsruher Gymnasium und später in Strasbourg die 
Universität besuchen konnte. Nach Franz Joseph Molitor (1779-1860), einem der wichtigsten 
christlichen Kabbalisten des 19. Jahrhunderts, schloß Hirschfeld sein Medizin-Studium nicht 

ab, weil ihm die Mittel ausgegangen seien. 1 10 Er ergänzte sein traditionelles Wissen durch 
eine breite Allgemeinbildung. Er sprach Französisch, Latein und Deutsch. Die für diese Zeit 
noch ungewöhnliche Verbindung von Tradition und Moderne musste ihn nach Berlin zu 
Moses Mendelssohns führen. 

Von 1779 bis zum August 1781 blieb Hirschfeld in Berlin. Aufgrund der Empfehlung 
Schlossers wird er Buchhalter und Hofmeister bei David Friedländer. Die Beziehung zu 
Mendelssohn wurde bereits von Jacob Katz beleuchtet, der auch die wenigen Quellen hierzu 
aufgefunden hat, wie ein Empfehlungsschreiben Mendelssohns: 

„Vorzeiger dieses, Herrn Ephraim Hirschel von Karlsruhe, der mir von dem 
berühmten Herrn Hofrath Schlosser in Emmendingen bestens anempfohlen wurde, und 
in Rücksicht seiner Talente, als auch seines edlen Herzens alle Empfehlung verdient, 
hat eine Zeitlang allhier gelebt, war Buchhalter und Hofmeister bei meinem Freunde 
Herrn David Friedländer, und hatte in meinem Hause fleissigen Umgang. Bei seiner 
Abreise von hier wünschet er ein paar Zeilen von meiner Hand zum Andenken, und 
bei denen, die meinen Worten allenfalls Glauben beimessen, zum Zeugnisse seiner 
untadelhaften und vielmehr lobenswürdigen Aufführung. Keines von beiden kann 

einem so jungen rechtschaffenen Manne versagt werden."! 1 1 

Hirschfeld hatte wohl eine streitsüchtige Natur und einen etwas schwierigen Charakter, wie 

man an Isaak Daniel Itzigs kritischer Beschreibung sehen kann: 

„Hirschfelds Betragen war übrigens nach meinem Urteil während seines hiesigen 
Aufenthaltes etwas bizarre; welches aber, um den Sinn dieses Wortes keiner 
Zweideutigkeit auszusetzen, wahrlich nur darin bestand, dass er zu 2, 3 und mehreren 
Monaten seine Stube nicht verliess, in Gesellschaft nicht selten um keinen Preis zum 



















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